[RU] Russland 2014 – Tag 17 von 19: Olympische Höhen [m40B]

Hier könnt Ihr Eure Bilder präsentieren. Darf auch mal vom Thema Eisenbahn abkommen.
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Hannes
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[RU] Russland 2014 – Tag 17 von 19: Olympische Höhen [m40B]

Beitrag von Hannes »

Dobri vetscher,

so richtig tief war mein Schlaf in dieser Nacht wohl nicht, denn Davids Abreise gegen 2.30 Uhr habe ich mitbekommen. Gegen 6.45 Uhr war dann auch wieder Aufstehen angesagt, es wurde zusammengepackt und das Gepäck in den Gepäckraum verbracht, um dann gegen 8 zum Bahnhof aufzubrechen. Die Hoffnung, auf dem Weg zum Bahnhof bzw. am Bahnhof selbst einen Bäcker o.ä. zu finden wurde leider enttäuscht und so wurde nach dem Ticketkauf auch das Frühstück aus dem Automaten bezogen. Der Grund für unser frühes Aufbrechen in den Kaukasus war nicht unsere große Lust früh aufzustehen sondern das mangelhafte Zugangebot nach Krasnaya Polyana: Nach dem Zug um 8.32 Uhr sollte es den nächsten erst wieder drei Stunden später geben und das wäre uns dann für den weiteren Tagesverlauf schon wieder zu wenig Zeit gewesen.

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Unser Zug für heute war das modernste, was die RZD gerade im Personenverkehr zu bieten hat: Den Desiro RUS mit dem Markennamen Lastotschka – Schwalbe. Ein Tiername wie beim Sapsan – Wanderfalke. Hier gut zu sehen die etwas zu niedrig geratenen Bahnsteige in Sotschi, in Adler stimmte das besser.

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Ein Blick ins Innere: Sitzteiler 3+2 mit mittelmäßigen Sitzen, typische Nahverkehrsausstattung. Dabei wird dieser Zug z.B. auch zwischen Moskau und Nischni Nowgorod im Fernverkehr im Auftrag der Federalnaya Passaschirskaya Kompaniya eingesetzt – bei vier Stunden Fahrzeit.

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Als Regionalzug entlang der Küste gab es äußerst üppige Haltezeiten von zwei bis drei Minuten an jedem Haltepunkt. Die Bahnsteige waren wieder kaum höher als Gleisniveau, dafür wurde unten eine richtige Treppe ausgefahren, was wir uns allerdings nicht angeguckt haben. Aus der geöffneten Tür war aber mal ein Blick aufs Schwarze Meer möglich. Mit extra Ansagen wurde auch immer angekündigt, dass der Zug jetzt weiterfahren würde – auf Russisch und Englisch. Das Tempo entlang der Küste war mit 60 km/h Spitzengeschwindigkeit nicht allzu hoch.

Mit dem Halt in Adler, einem Bahnhof mit üppigen Gleisanlagen und natürlich auch zu Olympia erneuerten Bahnsteigen und -zugängen und ja auch Zielbahnhof für alle Fernzüge an die Schwarzmeerküste, wurde es noch ganz gut voll im Zug. Kein Wunder bei diesem „Angebot“.
Hinter Adler wurde dann ein für die tatsächlichen Verkehrsströme üppig dimensioniertes Gleisdreieck mit Überwerfungsbauwerken passiert und es ging auf die Neubaustrecke nach Krasnaya Polyana, hier immerhin wurde die Streckenhöchstgeschwindigkeit von 115 km/h stetig ausgenutzt. Die Zwischenhalte waren kaum frequentiert.

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Der Bahnhofsvorplatz von Krasnaya Polyana mit dem kostenlosen Busshuttle in das „Dorf“. Wir haben uns aber für den Zugang per pedes entschieden.

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Auch Gasprom hat eine Seilbahn.

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Alles neu, alles sauber, alles steril: Putins Disneyland im Kaukasus. Keines der Gebäude dürfte wohl älter als fünf Jahre sein, von einem Dorf kann hier schon keine Rede mehr sein, vielleicht noch ein Potemkinsches bei viel Leerstand... Wikipedia beschreibt ein Potemkinsches Dorf auch als „Oberflächlich wirkt es ausgearbeitet und beeindruckend, es fehlt ihm aber an Substanz.“ - kommt hin.

Die Seilbahn ins Wintersportgebiet Rosa Chutor kostete damals umgerechnet 19 Euro für die Bergfahrt bis auf den Rosa Pik auf 2.200 m. Drei Seilbahnen sind es insgesamt, also zweimal umsteigen.

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Nach der ersten Seilbahn befindet man sich auf Höhe des Olympischen Dorfes.

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Ganz oben gab es immerhin etwas Schnee.

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Blick zurück aufs Olympische Dorf.

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Die Absicherung an der Kante war mir nicht ganz geheuer :-D

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Ein Schneemann konnte auch angetroffen werden. Die Lücke unterm Schneezaun – nun ja :-D

Eigentlich wollten wir dann ein bisschen auf dem Höhenzug wandern, aber daran hinderte uns ein Security auf dem einzig wegführenden Weg, weil man das nur mit entsprechender Ausrüstung dürfe. Bei dem Wegezustand hatte er wohl Recht. So kehrten wir in die Berggaststätte ein, die auch nicht so richtig ausgelastet war. Es gab europäisches Preisniveau und Kaffee(tassen) der italienischen Marke Hausbrandt. Gegründet 1892 in Triest verrät eine kurze Recherche, deshalb auch der wenig italienische Name ;-)
Sehr lecker war der dortige Borschtsch, der Beste, den ich je in einem Restaurant hatte. Nach etwas mehr als einer Stunde haben wir dann wieder den Weg ins Tal angetreten und auch noch eine Runde durchs Potemkinsche äh Olympische Dorf gedreht. Die Sberbank hat noch offen – auch wenn´s nur ein Raum mit Geldautomaten ist ;-)

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Und gleich wieder unten. Fällt mir erst hier auf dem Bild so richtig auf: Alles rot gepflastert und das russische Wort für Rot (Krasnyi) ist ähnlich dem Wort für schön (Krasivyi) bzw. aus schön wurde rot, schon lange vor der Revolution. Der Rote Platz war also eigentlich einmal der Schöne Platz und die Jahrgangsbesten an der Uni erhalten auch heute noch ein Rotes Diplom.

Unterwegs deckten wir uns noch in einem Souvenirladen ein, daneben gab es einen Bio-Supermarkt. Mehr als rechtzeitig waren wir zurück am Bahnhof, wobei der Fahrkartenkauf am Automaten nicht klappen wollte, weder auf Englisch, noch auf Russisch, an mehreren Automaten nicht. Also doch an den Schalter – ob die Automaten von den Mitarbeitern manipuliert wurden? ;-) Mehr kostete am Schalter auch nicht, aber so fit fühlte ich mich am Schalter beim strengen Blick der Schalterdame nicht.

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Üppig dimensioniert.

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Nachmittags ist das Zugangebot deutlich dichter, es gab zumindest drei Züge in stündlichem Abstand. Trotzdem war auch unserer gut gefüllt.

Negativ fiel mir dann auf der Rückfahrt dann auch die sparsame Ausrüstung mit Toiletten auf, denn im siebenteiligen Triebzug gab es nur zwei Stück, eine an jedem Ende. Natürlich war die eine defekt, so dass ich durch den ganzen Zug zur anderen latschen durfte. Da hat sich die RZD wohl zu sehr an der DB orientiert oder es gibt sowieso keine Tradition für Toiletten in Elektritschkas ;-)
Mit das negativste Erlebnis der Reise hatte ich dann beim Ausstieg in Sotschi: Der Zug fuhr noch weiter nach Tuapse und es gab einigen Fahrgastandrang. Da jeder nur einen Sitzplatz haben wollte, wurde nicht mal eine Gasse für die Aussteigenden gebildet, es wurde nur gedrängelt. Am liebsten hätte ich da einen Schrei losgelassen, das ging schon wahrhaft barbarisch zu.
Immerhin einer von uns schaffte es rechtzeitig durchs Gedrängel und am Bahnsteig entlang, um noch die Ausfahrt eines Spritzzuges festhalten zu können:

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Vor dem Rückweg ins Hostel schauten wir noch bei einem Supermarkt gegenüber des Bahnhofs vorbei, denn für die 34-stündige Fahrt nach Moskau wollten wir gerüstet sein. Ich war mit deutlichem Vorsprung als erster draußen und hab mal noch ein Bild vom Empfangsgebäude mit Bussen davor gemacht:

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Zurück ging es ins Hostel, das Gepäck neu zusammengepackt und mit dem großen Rucksack zurück zum Bahnhof. Auf Gleis 1 fuhr unser Zug ein, wir waren nicht die einzigen Urlauber auf dem Rückweg. Die Sonne kam immerhin nochmal etwas raus:

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Weil wir jetzt schön zum Sonnenuntergang an der Schwarzmeerküste entlangfuhren, hab ich mir auch den Hunger für später aufgespart, auch wenn es mir ein richtiges Loch in den Magen riss. Aber ich wusste, es sollte sich im Nachhinein lohnen:

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Zumindest eine Tütensuppe hab ich auch schon gegessen, aber ich glaube erst das wenige hat mir dann den Hunger noch bewusster gemacht.

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In unserem Abteil im Platzkartnyi gab es auch zwei allein reisende ältere Damen, die aber außer diesem Fakt nichts miteinander zu tun hatten. Die eine war zurückhaltender, die andere fing mit uns, respektive mit mir zu reden. Sie hatte auch einmal in der Schule Deutsch gelernt und bat uns, etwas langsamer zu reden, damit sie auch etwas verstehen könnte – also auf Russisch. Ich erwiderte das mit der entsprechenden Bitte fürs Russische, aber irgendwann driftete sie ins Politische ab und redete, mich am Handgelenk haltend, auf mich ein, dass sich Deutschland und Russland nicht auseinandertreiben lassen sollte und die USA unsere Feinde wären und Europa und Russland auseinanderbringen wollten... Diskussion war da eh nicht möglich, es war ein Monolog, bei dem ich nur noch ab und an lächelnd nicken konnte ob der Absurdität der Situation, die andere Dame konnte wohl meine Situation nachvollziehen. Meine quasi Nichtreaktion wurde wohl irgendwann zur Kenntnis genommen und wir konnten auch mal unsere Liegen herrichten.

Bei der Buchung hatte es auch schon Monate im Voraus nur noch die Oberen und die am Gang gegeben, ich glaube sogar, unser ursprünglich geplanter Zug war gar nicht mehr buchbar. Wir hatten uns für die 34h-Verbindung entschieden, denn erstens bringt uns eine 24h-Fahrt nichts mehr, wenn wir abends in Moskau noch zum Flughafen müssten und zweitens waren diese schnelleren Verbindungen auch mit den für Olympia beschafften neuen Schlafwagen ausgestattet (auch bei der Onlinebuchung mit WLAN-Symbol gekennzeichnet) und wären mindestens doppelt so teuer gewesen. Also lieber am frühen Morgen in Moskau ankommen und nochmal ein bisschen die Stadt angucken, dachten wir uns.
Unsere allein reisenden Damen oder zumindest die gesprächigere war dann auch in der Nacht in Rostow am Don ausgestiegen, so dass wir auch am nächsten Tag wieder mehr Ruhe hatten.

Na swidanie,

Hannes
"Deutsche siegen im Fußball, aber bei der Bahn ist täglich Cordoba."
ÖBB-Chef Christian Kern in der Kronenzeitung vom 8.11.14
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