Das Debakel von Mainz

Sonstiges, worüber man sich das "Maul" zerreisen kann.
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Vielfahrer
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Das Debakel von Mainz

Beitrag von Vielfahrer »

Der stellvertretende Vorsitzende und Geschäftsführer der GRV (Gesellschaft für Rationale Verkehrspolitik e.V.), Wolfgang Dietrich Mann, hat in der Folge 97 der GRV-Nachrichten einen interessanten Beitrag geschrieben, den ich Euch nicht vorenthalten möchte.

"Von fünfzehn Fahrdienstleitern des Stellwerks Mainz Hauptbahnhof waren drei im Urlaub und vier krank - die DB AG konnte Anfang August den Betrieb in der rheinland-pfälzischen Landeshauptstadt nicht mehr vollständig aufrechterhalten. Viele Züge fuhren den Mainzer Hauptbahnhof nicht mehr an, sondern wurden über andere Strecken um Mainz herum umgeleitet.

Mit Verlaub: Bei nüchterner Betrachtung waren die verkehrlichen Auswirkungen doch stark lokal begrenzt. Bundesweit gab es kaum relevante Verspätungen oder gar Zugausfälle, die ursächlich auf die Situation in Mainz zurückgeführt werden konnten.

Dennoch: Sieben an ihrem Arbeitsplatz fehlende Personen waren der Anlass für tagelang bundesweite Schlagzeilen aller Medien. Wo gibt es denn so etwas?

In der öffentlichen und veröffentlichten Meinung war die Ursache dann auch schnell gefunden: Der frühere DB-Vorstand Hartmut Mehdorn hätte für den von ihm (offenbar von ihm ganz alleine) angestrebten Börsengang des DB-Konzerns das Unternehmen systematisch kaputt-gespart, und die Meinungsmacher scheinen fast erleichtert zu sein, dass endlich Auswirkungen davon sichtbar werden.

Manchmal ist es dann aber doch geboten, einmal die Fakten zu betrachten (auch wenn dann vielleicht ein so schön gemaltes Weltbild zusammenbrechen kann).

Hartmut Mehdorn hatte seinen Rücktritt auf der Bilanz-Pressekonferenz des DB-Konzerns am 30. März 2009 verkündet. Die Nachfolge trat Dr. Rüdiger Grube zum 01.Mai 2009 an. Die Zeit seither ist länger als eine Legislaturperiode des Deutschen Bundestags respektive eine Amtszeit der Bundesregierung! Und in dieser langen Zeit hat es kein mit der aktuellen Situation in Mainz vergleichbares Problem gegeben.

Das betroffene Stellwerk in Mainz ist Eisenbahn-Infrastruktur und gehört zur DB-Netz AG. Schon seit dem Jahr 2007 ist klar, dass allenfalls die Transport-Sparten des DB-Konzerns an die Börse gebracht würden; sie wurden im ersten Halbjahr 2008 in der DB Mobilität Logistics AG zusammengefasst. Die darüber stehende Deutsche Bahn AG, zu welcher die Infrastruktur-Unternehmen DB Netz AG, DB Station&Service sowie DB Energie GmbH unmittelbar gehören, soll immer zu einhundert Prozent im Besitz des Bundes bleiben.

Zwischen-Fazit: Weder das Thema "Börsengang" noch der frühere DB-Vorstand Hartmut Mehdorn können überhaupt die Ursache des Debakels von Mainz sein.

In der dennoch verbreiteten Auffassung, dass es am Börsengang läge, steckt indirekt die Behauptung, dass die Finanzierung über Börsen was Schlechtes wäre. Demnach müsste unsere gesamte Volkswirtschaft ziemlich marode sein. Ist sie aber nicht.

Wenn in Mainz (und anderswo) Betriebsräte beklagen, dass zu wenige Fahrdienstleiter angestellt sind, und deswegen die vorhandenen Fahrdienstleiter massiv Überstunden leisten und ihre Urlaubs-Ansprüche oftmals aufschieben müssen, dann ist dies aus Sicht der Kapital-Eigner eines Unternehmens keine gute Unternehmensführung: in ihren Augen leuchten dabei keineswegs Dollarzeichen. Allenfalls in kameralistisch geführten Behörden wäre es eine Einsparung, wenn im laufenden Haushaltsjahr fehlendem Personal keine Löhne ausbezahlt werden müssen. In der kaufmännischen Buchführung hingegen müssen für die Überstunden und Urlaubs-Ansprüche der vorhandenen Mitarbeiter Rückstellungen gebildet werden. Und wenn wegen fehlender Mitarbeiter Geschäfte nicht getätigt werden können oder die Qualität leidet, schlägt dies schnell auf die Umsatzseite durch. Und ein schlechtes Image steigert auch nicht den Wert des Unternehmens.

Man sollte das Debakel von Mainz als das behandeln, was es ist: Ein krasser und peinlicher Fehler in der Unternehmensführung. Die Ursachen sind zu korrigieren. Nicht ohne Grund gab es schon im Frühjahr personelle Konsequenzen im Vorstand der DB Netz AG, und weitere Maßnahmen sind angekündigt. Darüber hinausgehende Schlüsse gehen an der Wirklichkeit vorbei und helfen niemand weiter."


Der Autor Wolfgang Mann wohnte früher an der Zollernbahn in Belsen bei Mössingen, wo er sein Abitur gemacht hat. Mit einer Gruppe Gleichgesinnter engagierte er sich für einen besseren Schienennahverkehr. Profitiert hat davon insbesondere der Haltepunkt Bodelshausen, der von einer geringen zweistelligen Anzahl an Reisenden inzwischen auf eine gute vierstellige Nutzerzahl pro Tag gebracht werden konnte.


Viele Grüße vom Vielfahrer
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Villinger
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Re: Das Debakel von Mainz

Beitrag von Villinger »

So kann man sich das Thema auch schönreden. Fakt ist, dass an allen Enden im Konzern Personal fehlt, sei es im Fahrdienst oder im Stellwerk. Am besten hat man das hier im Süden bemerkt, wo man schon reihenweise SEV für fehlende Tf's fahren musste. Außerdem ist es in vielen Stellwerken Gang und gebe, dass der Personalplan mehr als auf die Kante genäht sind, es gab Berichte aus vielen anderen Stellwerken (u. a. Bebra), wo kaum noch Puffer beim Personal herrscht, solle mal jemand ausfallen.

Das sind ganz klar die Nachwirkungen vom Börsengang! Den Personalmangel gibt es seit längerer Zeit, nur der Mainzer Fall war das traurige "Highlight" dieses Personalabbaus.

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Re: Das Debakel von Mainz

Beitrag von GHC »

Ich will da jetzt niemanden beschuldigen, der das jetzt speziell in Mainz, bzw. allgemein beim Personal, verbockt hat. Dazu fehlt mir einfach, als Außenstehender, die Einsicht und auch die fachliche Kompetenz. Dies trifft wohl aber auf die meisten Leute zu, die etwas zu dem Thema "beitragen". Seien es "Experten", Politiker oder sonstwas. Beschuldigungen ohne Fakten sind immer schnell ausgesprochen, nur welche davon nun wahr sind, und werlche nicht, ist nicht so leicht zu erkennen.
Der Fall in Mainz wird doch mittlerweile untersucht, wann gibt es denn da ein Ergebnis?

Aber Fakt ist doch aufjedenfall, dass etwas in diesem ganzen Konzern falsch läuft und da muss, so denke ich, der Eigentümer eingreifen und Konsequenzen ziehen. Leider machen aber die Verantwortlichen (vorallem Politiker) auf mich den Eindruck, als ob einfach die fachliche Kompetenz fehlt und sie einfach nur ihre Gewinne einfahren möchten.
So kann es mMn nach nicht sein, dass die Gewinne aus der Netzsparte einfach so im Gesamtkonzern verschwinden, anstatt sie wieder in selbiges zu investieren. Da fehlt mir eine Person, die das in die Hand nimmt und mal handelt anstatt immer nur zu reden [edit: Ist dafür der Verkehrsminister zuständig?]. Aber das ist wohl eher Wunschdenken... :ahnung:


gute Nacht :hallo/ade:
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Re: Das Debakel von Mainz

Beitrag von GP4Flo »

Wenn sich ein ehemaliger Staatskonzern bei kleinen Privatfirmen Mitarbeiter leihen muss, um überhaupt noch den Fahrbetrieb in einigen Regionen aufrecht halten zu können, dann muss doch in der Vergangenheit in Sachen Ausbildung so einiges schief gelaufen sein. Dumm nur, dass das bei den Fahrdienstleitern aufgrund der langen Einarbeitungszeit anscheinend nicht so machbar ist.
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Re: Das Debakel von Mainz

Beitrag von Vielfahrer »

GHC hat geschrieben:I
So kann es mMn nach nicht sein, dass die Gewinne aus der Netzsparte einfach so im Gesamtkonzern verschwinden, anstatt sie wieder in selbiges zu investieren.
Hallo GHC,

die Gewinne von DB-Netz müssen im beachtlichem Umfang an den Eigentümer Bund abgeliefert werden, verbleiben also nicht irgendwo im DB-Konzern. Auf diesem Wege holt sich der Bund (über überhöhte Trassenpreise) wieder die Regionalisierungsmittel zurück, die er zuvor den Ländern gegeben hat. Ich denke, dass dort der Schwarze Peter zu suchen ist.

Viele Grüße vom Vielfahrer
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Re: Das Debakel von Mainz

Beitrag von KBS720 »

Hallo,

genau Vielfahrer das ist es! Mit Infrastruktur sollte man einfach kein großes Geld verdienen, sondern das Netz Instandhalten und Ausbauen! Stattdessen wird überall rückgebaut weil ja alles Geld kostet was drin liegt.

Zu den Fdl das wurde schon Ende 80er Anfang der 90er "verbockt" und nun kommen die Folgen, Mainz könnte durchaus nochmal wo anders passieren. Ist ein Teufelskreis viele Alte die viele Überstunden machen, irgendwann werden die krank und dann zieht sich das wie ein Rattenschwanz.
Aber Fdl´s wachsen halt nicht auf Bäumen und 100 Tage Fdl sind anfangs halt auch nur wirklich für kleine Klitschenbahnhöfe einsetzbar. Für größere Bahnhöfe ist das am Anfang nix.


Grüße Andreas
*schaffner* Das Bahnkutscher Wiki last update Juni 2014
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Stinkt und macht en hufe Krach, 218 des isch halt ä Sach
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