S-Bahn: Weichen für Widerstand

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S-Bahn: Weichen für Widerstand

Beitrag von Rangierer »


Kreis Freudenstadt - CDU-Kreisrat Michael Laschinger erwähnte die geplante Verlängerung der S-Bahn-Strecke von Herrenberg nach Nagold im Verwaltungsausschuss des Kreistags nur am Rande. Doch Landrat Klaus Michael Rückert nutzte den Anlass, um seinem mächtigen Ärger über dieses Thema Luft zu machen.

Das Vorhaben, so Rückert, betrachte er "mit großer Sorge". Er habe in Calw "erheblichen Widerstand" angekündigt: Man dürfe nicht "des einen Fortkommen auf Kosten des anderen verbessern". Mehr noch: Dies werde zu einer "Nagelprobe" für die Freundschaft.

"Wir haben erhebliches Geld in den ›Freudenstädter Stern‹ investiert", gab Rückert zu bedenken. Auch CDU-Kreisrat Julian Osswald sah es bei der Sitzung als "politische Aufgabe, die S-Bahn nicht so zu bauen, dass sie uns im Landkreis schadet".

Normalerweise, sagte Rückert im Gespräch mit dem Schwarzwälder Boten, mische er sich nicht in Verkehrsprojekte in anderen Landkreisen ein. Aber die Verlängerung der S 1 würde wohl Nachteile für den "Freudenstädter Stern" mit sich bringen. Konkret: für den schnellen Regionalexpress von Freudenstadt nach Stuttgart. Der Freudenstädter Landrat befürchtet, dass für diese schnelle Direktverbindung in die Landesmetropole im Zeitfenster des Fahrplans kein Platz mehr wäre, wenn die S-Bahn von Herrenberg nach Nagold fahren würde. Diese Sorge hielten auch Experten für berechtigt.

Fahrgäste auf der Linie von Freudenstadt nach Stuttgart müssten dann möglicherweise immer in Eutingen umsteigen und kämen somit weniger komfortabel und, weil die S-Bahn öfter hält als der Regionalexpress, viel langsamer als bisher in die Landeshauptstadt. Eine "Deluxe-Verbindung" nach Stuttgart sei aber wichtig für den Landkreis Freudenstadt. Wenn es eine Möglichkeit gäbe, das S-Bahn-Projekt Herrenberg – Nagold ohne Nachteile für den Kreis Freudenstadt umzusetzen, habe er allerdings nichts dagegen, versicherte Rückert. Und machte einen eigenen Vorschlag: Man könne ja auch die Strecke für ein "Stichbähnle" von Nagold nach Eutingen bauen.

Eine "vertiefte Machbarkeitsstudie", die der Landkreis Calw und die Stadt Nagold in Auftrag gegeben hatten, kam zu dem Ergebnis, dass die Verlängerung der S 1 nach Nagold technisch und betrieblich machbar ist. In einer Sitzung Anfang März fasste der Verwaltungsausschuss des Kreistags Calw dann den einstimmigen Beschluss, eine Nutzen-Kosten-Untersuchung für die Verlängerung der S-Bahn Herrenberg bis Nagold in Auftrag zu geben. Die Untersuchung dauert etwa ein halbes Jahr.

Bei dieser Analyse werden derzeit, wie Sarah Tonhauser vom Landratsamt in Calw auf Anfrage unserer Zeitung mitteilte, die Grundlagen für die weitere Planung geschaffen. Dabei werde "viel Datenmaterial gesichtet". Ermittelt wird die Nachfrage im öffentlichen Personennahverkehr und im Individualverkehr, um zu sehen, ob für die Verlängerung der S-Bahn-Strecke auch ein Bedarf besteht. Vor den Sommerferien, so Tonhauser, werde bei dem Vorhaben wohl keine weitere Entscheidung getroffen.

Eine Million Euro pro neuem S-Bahn-Kilometer


Der Investitionsbedarf für die S-Bahn-Strecke von Herrenberg nach Nagold wird auf 30 Millionen Euro geschätzt, rund eine Million Euro pro neuem S-Bahn-Kilometer. Von dem Projekt wären gleich vier Landkreise betroffen – Böblingen, Calw, Freudenstadt und Tübingen.

Vorsichtige Kritik aus den Nachbarlandkreisen ist in Calw bereits angekommen: Landrat Helmut Riegger teilte bei der Sitzung des Calwer Verwaltungsausschusses im März mit, dass er bereits seine Kollegen aus Böblingen, Freudenstadt und Tübingen zu sich eingeladen und mit ihnen über diese Schienenanbindung gesprochen habe. Diese hätten sich bislang aber "verhalten gezeigt", wie im Sitzungsprotokoll vermerkt wird, da sie befürchten, bestehende Haltepunkte von Regionalzügen entlang der Gäubahntrasse zu verlieren. Deshalb werde er versuchen, so Riegger, "die Nachbarlandkreise mit einem guten Untersuchungsergebnis für die Sache zu gewinnen".

Zumindest in Freudenstadt dürfte dies bei dem scharfen Ton, den Klaus Michael Rückert anschlägt, schwierig werden. Bei dem Thema müsse man, wie der Landrat dem Verwaltungsausschuss des Freudenstädter Kreistags ankündigte, notfalls "auf den Putz hauen". Die Weichen für Widerstand hat Rückert jedenfalls schon mal gestellt.
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Re: S-Bahn: Weichen für Widerstand

Beitrag von Vielfahrer »

Hallo,

bei diesem Thema darf man zwei Dinge nicht verwechseln: das eine ist der Wunsch, die S 1 über Eutingen - Hochdorf bis nach Nagold zu verlängern, das andere die Bestrebung, die RE-Züge zwischen Singen und Stuttgart (bzw. Schwäbisch Hall-Hessental zukünftig) von den Nahverkehrshalten zwischen Ergenzingen und Gäufelden zu befreien.
Die Verlängerung der S 1 über Herrenberg hinaus bis Nagold würde auch den aufkommensstarken Ortschaften im Landkreis Böblingen wie Nebringen und Bondorf die S-Bahn bringen. Diese ist wegen des vorhandenen Gleiswechselbetriebs zwischen Herrenberg und Bondorf betrieblich machbar. Allerdings würden vorallem die Gäuorte ihre Deluxe-Verbindung nach Stuttgart, die sie heute zweifellos haben, halbiert bekommen, denn der Singener RE würde nicht mehr zwischen Horb und Herrenberg halten. Die Anbindung würde ab Eutingen über die AVG nach Herrenberg erfolgen müssen, d.h. mit zusätzlichem Umstieg. Der Nutzen für den Bodenseeraum wäre allerdings hoch. Es handelt sich da um einen S1-unabhängigen Interessenskonflikt, wobei ich beim langen Laufweg ab Singen (192 km bis Stuttgart) dazu tendieren würde, den überregionalen Verkehren aus dem Bodenseeraum zur Landeshauptstadt den Vorzug vor den lokalen Verkehren im S-Bahn-Bereich zu geben.
Die beste Idee freilich wäre, ab Nagold nicht die S1 sondern eine RB über Hochdorf - Eutingen um 15 Minuten zum Freudenstädter RE nach Stuttgart zu fahren. Dieser RE könnte bis Herrenberg immer alle Halte bedienen (Stunden- oder sogar Halbstundentakt) und dann mit Zwischenhalten in Böblingen, Stuttgart-Vaihingen- Stuttgart-West, Stuttgart Presselstr., Stuttgart-Feuerbach nach Ditzingen, Leonberg, Renningen, Weil der Stadt fahren und ab hier wieder als RB weiter nach Calw und Nagold. Diese Ringbahn würde das Nagoldtal auf beiden Ästen in beiden Richtungen recht attraktiv mit der Region Stuttgart verbinden und insbesondere dem starken Pendlerverkehr nutzen.
Gleichzeitig könnte man den RB-Verkehr Pforzheim - Horb auf einen Stundentakt reduzieren, idealerweise ausgerichtet auf den zukünftigen ICE-Knoten in Horb.

Tatsächlich aber muss Freudenstadt fürchten, dass zukünftig gar keine Züge mehr nach Stuttgart fahren, wenn die aus dem Raum Tübingen befürwortete Idee einer Umlenkung der RE und ICE-Züge via Tübingen - Wendlinger Kurve zum Flughafen greifen sollte. Dann nämlich würde die Rohrer Kurve entfallen und ob sich jemand finden würde, der für einen alle zwei Stunden verkehrenden RE einen 2 km langen zweigleisigen Kehrtunnel im Bereich des Pragfriedhofs in den neuen Tiefbahnhof baut, dürfte zumindest sehr fraglich, weil unwirtschaftlich sein. Aus diesem Grund wurde beim Filderdialog erläutert, dass die Fahrlage bzw. das Ziel der Freudenstädter RE-Züge leider völlig offen sei. Dies jedoch und nicht die Nagolder S-Bahn ist das Problem, das den Freudenstädtern auf den Nägeln brennt.

Viele Grüße vom Vielfahrer
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