Seit 25 Jahren gibt es Graffiti auf öffentlichen Verkehrsmitteln
Der Autor Paul Schneeberger erinnert in einem Beitrag der Neuen Züricher Zeitung vom 19. Dezember 2013 daran, dass die SBB seit nunmehr 25 Jahren gegen Sprayereien auf ihren Anlagen und auf ihrem Rollmaterial kämpfen.
1988 wurden die SBB mit den ersten Graffiti konfrontiert. Verschwunden ist das Phänomen nicht, aber der Umgang mit ihm ist zur Routine geworden. Am Werk ist heute zumeist eine zweite Generation von Sprayern, die auch auf Abenteuer aus ist.
Plötzlich sind sie da. Schnell, grell, frech und witzig; zynisch, schön, obszön und treffend: klagend, schreiend, oft befreiend: Graffiti am Bahngleis – eine neue Art Signale – und: „Bahnfahren soll und darf auch fröhlich sein. Vielleicht gehört gerade das zu dem, was Graffiti auch noch sagen wollen“. So haben die SBB in ihrem Magazin das Phänomen aufgenommen, das eben aus Amerika an den Rand schweizerischer Bahngleise geschwappt war.
Zirkulieren schafft Publikum
Ein Jahr später waren solch halbwegs wohlwollende Einschätzungen passé. Die Gemeinde junger Sprayer begann, ihre bunten Buchstabenfolgen auch auf Rollmaterial anzubringen. Damit wurden hier Bilder Realität, wie man sie eineinhalb Jahrzehnte zuvor kopfschüttelnd von der Untergrundbahn in New York zur Kenntnis genommen hatte. Dort hatte man dieser Form von jugendlicher Selbstverwirklichung eben erst mit einem Maßnahmenpaket ein Ende gesetzt. Dies reicht von der Einzäunung der Abstellanlagen bis zum Grundsatz, versprayte Züge umgehend aus dem Verkehr zu ziehen.
Nun waren es die Kompositionen des Wiss- oder des Goldküsten-Express, die wochenlang versprayt von und nach Zürich pendelten. Die Bahnen in der Schweiz waren von dieser Respektlosigkeit überrumpelt worden. Ihren Anfang genommen hatten die Markierungen öffentlicher Verkehrsmittel mit formal verfremdeten Initialen im Philadelphia der 1960er Jahre. Busse und Untergrundbahnen wurden beliebte Zielscheiben, weil sie durch ihr Zirkulieren ein großes Publikum, eine große Aufmerksamkeit versprachen.
In der Schweiz entwickelte sich seit den 1980er Jahren eine Szene, die keine Tabus akzeptierte und schnell auch aus den urbanen Räumen ausbrach, mit denen die kleinen Tags oder die großflächigen Graffiti assoziiert wurden und zum Teil auch heute noch werden. Eine 1995 erschienene Zusammenstellung mit Sujets sogenannter „American Graffiti“ in der Schweiz zeigt als Titelbild einen komplett versprayten Wagen auf dem Val-Tuoi-Viadukt im peripheren Unterengadin, genau dort, wo sich die Rhätische Bahn in Prospekten immer wieder als Bestandteil einer heilen ländlichen Gebirgswelt touristisch inszeniert. Die Stärke dieses Zeichens war offenbar sekundär. Die Autoren der reich illustrierten Schrift, die sich der aus Amerika übernommenen Terminologie der Szene bedienten, begründeten das Ausgreifen ins Bündnerland pragmatisch. „Auch wenn die Yards in der Schweiz meist nicht bewacht sind“, schrieben sie, „reisen jene Sprayer, die sich etwas weniger Verfolgungsstress aufhalsen wollen, einfach weiter, um Züge zu finden, die mit weniger Gefahr besprayt werden können“.
Seit jenen Jahren sind Graffiti ein fester Bestandteil des Vandalismus, dem sich öffentliche Verkehrsmittel in Europa ausgesetzt sehen. Während in der Schweiz und in Nordeuropa vor allem versprayte Personenzüge und – wagen möglichst binnen 24 Stunden aus dem Verkehr gezogen und gereinigt werden, bleiben sie in Süd- und Osteuropa meist lange im Einsatz. In den finanziell klammen Staaten auf dem Balkan etwa, von Slowenien bis Griechenland, sind sie von der Ausnahme zur Regel geworden, was zum problematischen Image der Eisenbahn dort beiträgt.
Die Kosten für die Reinigung der Fahrzeuge sind beträchtlich. Detaillierte Zahlen nennen weder die SBB noch die BLS. Bei beiden Bahnen wird dieser Aufwand unter dem Titel Vandalismus subsumiert, der bei den SBB jedes Jahr mit 5 bis 6 Millionen Franken zu Buche schlägt und bei der BLS mit etwas über einer halben Million. In den 1990er Jahren wurde der Reinigungsaufwand pro Seite eines Wagens auf 10.000 bis 20.000 Franken veranschlagt; das dürfte heute nicht anders sein. Gemäß der Kantonspolizei Bern betreffen rund 5 Prozent aller Meldungen über Sachbeschädigungen Graffiti an öffentlichen Verkehrsmitteln. Das sind pro Jahr im Schnitt 250 Fälle auf Berner Boden.
Die spektakulärste Attacke in jüngster Vergangenheit betraf nicht einen Zug, sondern einen Linienbus. Er wurde an einem Samstagabend im Oktober im prominentesten rechtsfreien Raum der Schweiz, vor der Reitschule in Bern von Vermummten angehalten und innert weniger Minuten versprayt. Was die Motivation der stets anonym agierenden, aber ihre Aktionen zunehmend auch filmenden und ins Internet stellenden Sprayer angeht, lassen sich – unter anderem aus einer Publikation über die Züricher Graffiti-Crew KCBR – zwei Komponenten herausdestillieren.
Zum einen verschafft es ihnen Befriedigung, wenn sie ihre Werke im Einsatz sehen, fotographieren oder filmen – mit Vorliebe auf „Laufstegen“ wie dem Außersihler Viadukt in Zürich. Zum anderen sind die Illegalität und das Risiko, trotz einer tiefen Aufklärungsquote zur Kasse gebeten zu werden, wesentliche Triebfedern. Es gehe auch um Freundschaft, lässt sich ein Sprecher von KCBR zitieren:“ Wer bereit ist, seine ganze Energie für etwas derart Sinnloses aufzuwenden, der verarscht dich nicht“. Dass die Allgemeinheit dafür die Kosten trägt, scheint eine Nebensache zu sein. Insofern sind Graffiti auf öffentlichen Verkehrsmitteln durchaus rollende Zeichen unserer Zeit.
Viele Grüße vom Vielfahrer
25 Jahre Graffiti auf öffentlichen Verkehrsmitteln
-
- Örtlicher Betriebsleiter
- Beiträge: 4880
- Registriert: So 1. Aug 2010, 13:32
- Wohnort: Tübingen Weststadt
-
- Schaffner
- Beiträge: 2125
- Registriert: Mo 13. Jun 2011, 12:25
Re: 25 Jahre Graffiti auf öffentlichen Verkehrsmitteln
Äußerst kritisch - im Raum Stuttgart ist das noch nicht ganz so schlimm wie im Raum Berlin/Hamburg/Berlin,
aber gelegentlich triffts uns doch;
Ein Beispiel: Ein Koll fährt in die Kehranlage, wendet, fährt zurück nach Hedelfingen.
Dort wendet er wieder, aber, als er einsteigt ( es war dunkel), merkt er das was nicht so ist wie sonst - die Frontscheibe seiner Bahn wurde mit Graffiti verunziert - trotz fahrbereiter Bahn konnte die Fahrt nicht fortgeführt werden !
Das sind bei uns - wohlgemerkt - Ausnahmefälle, die Schwaben sind halt doch zu "brav"..... :Frol:
MFG Oli
aber gelegentlich triffts uns doch;
Ein Beispiel: Ein Koll fährt in die Kehranlage, wendet, fährt zurück nach Hedelfingen.
Dort wendet er wieder, aber, als er einsteigt ( es war dunkel), merkt er das was nicht so ist wie sonst - die Frontscheibe seiner Bahn wurde mit Graffiti verunziert - trotz fahrbereiter Bahn konnte die Fahrt nicht fortgeführt werden !
Das sind bei uns - wohlgemerkt - Ausnahmefälle, die Schwaben sind halt doch zu "brav"..... :Frol:
MFG Oli