Tunnelsanierung ohne Störung des Bahnbetriebs

Sonstiges, worüber man sich das "Maul" zerreisen kann.
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Vielfahrer
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Tunnelsanierung ohne Störung des Bahnbetriebs

Beitrag von Vielfahrer »

In der NZZ kommt heute ein längerer Artikel zum Thema Sanierung von Tunnels am Beispiel der Rhätischen Bahn. Diese verfügt über 115 Bahntunnels, also alle 3,3 Streckenkilometer kommt ein Tunnel. Die meisten von diesen Tunneln wurden zwischen 1901 und 1914 gebaut, nach einem Standardverfahren und in durchwegs hervorragender Qualität. Sie sind heute noch gefahrlos befahrbar. Weil sie aber fast gleichzeitig entstanden sind, müssen sie in den kommenden Jahrzehnten auch alle innerhalb relativ kurzer Zeit erneuert werden.

Dies gilt vor allem auch für jene 13 Tunnel mit dem dringendsten Sanierungsbedarf; sie sollten innerhalb der nächsten 5 bis 10 Jahre renoviert werden. Weitere 64 Tunnel sind in 25 bis 50 Jahren fällig. Im Durchschnitt steht die Sanierung von 500 Meter Tunnel pro Jahr an. Das Schadenbild in den Bauwerken ist nahezu einheitlich: Nässe und Feuchtigkeit haben den Mauerwerksfugen zugesetzt, da und dort kam es zu Ausbuchtungen der Seitenwände als Folge des Bergdrucks, fast überall ist die Entwässerung schafhaft. Zudem entsprechen die Tunnel nicht mehr dem Stand der Technik. Eine Gefahr für den Betrieb besteht nirgends, aber die Arbeiten lassen sich nicht mehr aufschieben.

Tunnelsanierungen sind extrem komplex. Bei doppelspurigen Bauwerken wird normalerweise ein Gleis entfernt und im so entstandenen Freiraum gearbeitet, während daneben die Züge fahren. Doch die Tunnel der RhB verfügen nur über ein Gleis; sie jeweils monatelang zu sperren, ist politisch und wirtschaftlich undenkbar. Deswegen planen die RhB jetzt, ihre Tunnel in Bauphasen schrittweise zu erneuern, und dies während der normalen nächtlichen Fahrplanpausen - Nacht für Nacht und Meter für Meter.

Dabei werden, soweit die Tunnel im Fels liegen, fast ausschließlich vorfabrizierte und standardisierte Fertigbauelemente verwendet. So lassen sich komplexe Arbeitsschritte wie Aufbau der Armierung, Betonieren, Aushärten des Betons und Qualitätskontrolle vollständig in eine Fabrikhalle verlegen. Auf der Baustelle erfolgt dann im Wesentlichen nur noch der Einbau der vorgefertigten Elemente. Dadurch sind Streckensperrungen ebenso unnötig wie große Bauinstallationen. Das Resultat werden neuwertige Tunnel nach den modernsten Standards sein; nur die Portale aus Naturstein werden ihr bekanntes Aussehen aus Gründen des Denkmalschutzes behalten.

Dass diese Arbeitsweise bei Brücken funktioniert, hat di eRhB bereits mehrfach bewiesen, etwa bei bekannten Landwasserviadukt nahe Filisur. Im Berg sind die Voraussetzungen aber wegen der engen Platzverhältnisse schwieriger. Deshalb hat die RhB in der Nähe von Flums einen 25 Meter langen Versuchstunnel gebaut, in dem die neue Sanierungsmethode derzeit praktisch erprobt wird. Der Teststollen entspricht den Normen von anno dazumal, ist mit Gleis und Fahrleitung ausgerüstet und dient mehreren Bauunternehmungen dazu, die Arbeitsprozesse zu erproben und zu verfeinern. Das ist wichtig, weil später wie bei einer Fliessbandproduktion jeder Arbeitsschritt immer im gleichen Takt auf die Minute genau erfolgen muss.

Im Falle eines ersten geplanten "Mustertunnels" bei Begrün stehen gemäß Fahrplan genau 7:07 Stunden pro Nacht zur Verfügung (oder 8:51 Stunden, wenn der Ausfall des letzten Nacht- und des ersten Frühzugs toleriert wird). In dieser Zeitspanne muss sich die Baustelle Nacht für Nacht immer im gleicher Weise und um die gleiche Distanz fortbewegen, für den ersten Frühzug hat das Gleis wieder frei zu sein.

Die Baumethoden vorab und ohne Zeitdruck in einem Felslabor zu erproben, hat sich als klug erwiesen und zu zahlreichen Änderungen an den Fertigbauteilen und Arbeitsprozessen geführt. Ein Beispiel von vielen: Ursprünglich war vorgesehen, die unumgängliche Vergrößerung des Tunnelquerschnitts durch eine Tieferlegung der Fahrbahn zu erreichen. Jetzt werden die Tunnel nicht nach unten, sondern nach oben erweitert. Das ist zwar technisch anspruchsvoller, vereinfacht jedoch den Einbau der Fertigelemente.

Gemäß der heutigen, provisorischen Planung soll die Sanierung eines Tunnels im Laufe von zwei Jahren in verschiedenen Durchgängen erfolgen. Im ersten Jahr wird zunächst auf einer Länge von fünf Metern pro Nacht der Schotter entfernt und durch eine ebenso lange, vorfabrizierte und auf Betonfundamenten ruhende Hilfsbrücke mit vormontierten Gleisen ersetzt. Beidseits des Gleises wird ein 1,20 Meter tiefer Graben ausgehoben. Über dem Gleis wird die gespannte Fahrleitung durch eine Stromschiene ersetzt, die sich leicht montieren und wieder abbauen lässt.

Im zweiten Jahr arbeiten im Tunnel jeweils zwei Teams hintereinander. Die vordere Gruppe demontiert die Stromschiene, weitet den oberen Teil des Tunnelgewölbes aus und entfernt das ausgebrochene Gestein. Nach den üblichen Sicherungsmaßnahmen mit Spritzbeton schiebt sie ein Gestell in Form eines mobilen Metall-Tunnels - zum Schutz der Züge vor herunterfallendem Material - über dem Gleis nach vorn und verbindet es beiseite mit der Stromschiene. So können die Züge am folgenden Tag den Baustellenbereich mit 20 bis 30 km/h passieren. Diese Equipe schreitet pro Nacht um 1,5 Meter voran.

Sobald das erste Team 30 Meter tief im Berg angelangt ist, beginnt hinter ihm die zweite Mannschaft ihr Werk. Diese pendelt Nacht für Nacht zwischen zwei Tätigkeiten, mitdenken sie pro Schicht um je 3 Meter vorankommt, durchschnittlich also ebenfalls um 1,5 Meter pro Nacht. In der ersten Nacht werden zwei 1,5 Meter lange, vorfabrizierte Betonelemente der Tunnelhülle eingesetzt: links und rechts je ein im zuvor ausgehobenen Graben verankertes Seiten- und ein darauf ruhendes Schulterelement, oben ein Firstelement und an diesem die neue Stromschiene. Die Betonelemente sind in drei Versionen für gerades Gleis sowie für Links- und Rechtskurven vorhanden. So können durch entsprechendes Aneinanderreihen von geraden und gebogenen Elementen alle gängigen Kurvenradien problemlos realisiert werden.

In der folgenden Nacht schleißt diese Mannschaft wiederum uf einer Länge von 3 Metern die Sanierungsarbeiten ab, indem sie die Entwässerungsrohre einbaut. Sind beide Teams am Ende des Tunnels angelangt, kommen die Gleisverlegemaschinen zum Einsatz. Sie schütten ein neues Schottertet auf und verlegen das Gleis definitiv.

Das Vorgehen bei der Rhätischen Bahn bei der Sanierung ihrer Tunnel ist komplex und kostet fast soviel wie ein Neubau, aber diese Strategie dürfte sich auszahlen. Der größte Vorteil besteht im Wegfalle von Betriebsunterbrüchen. Aber auch die langfristigen Unterhaltungskosten werden vermutlich sinken, denn die alt-neuen Tunnel der RhB werden für mindestens weitere 70 Jahre, vermutlich aber eher 100 Jahre topfit sein. Das Mammutprogramm soll 2014 oder 2015 starten.

Sepp Moser für die NZZ. Der Artikel zeigt noch eine halbseitige Aufnahme der Tunneleinfahrt vom Landwasserviadukt bei Filisur sowie einen interessante Querschnittszeichnung als Beispiel für die beschriebene Tunnelsanierung mit Fertigelementen.

Mir fällt da nur noch ein, dass bei der Elektrifizierung der Höllentalbahn zwischen Donaueschingen und Neustadt von 18 Monaten Sperrung die Rede ist….

Viele Grüße vom Vielfahrer
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KBS720
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Re: Tunnelsanierung ohne Störung des Bahnbetriebs

Beitrag von KBS720 »

Hallo,

interessanter Beitrag, wurde sowas nicht auch schon mal in Deutschland gemacht?
Vielfahrer hat geschrieben: Mir fällt da nur noch ein, dass bei der Elektrifizierung der Höllentalbahn zwischen Donaueschingen und Neustadt von 18 Monaten Sperrung die Rede ist….
Ist halt die Frage ob das bei Neuelektrifizierungen auch möglich ist, auf jeden Fall kostet es bestimmt mehr und Geld ist ja eh schon keins da. Interessant wird so oder so die Baustellenlogistik denn die Tunnel liegen größtenteils mitten im Nichts.

Grüße Andreas
*schaffner* Das Bahnkutscher Wiki last update Juni 2014
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Stinkt und macht en hufe Krach, 218 des isch halt ä Sach
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