Interessanter Bericht zu Stuttgart 21

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Vielfahrer
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Interessanter Bericht zu Stuttgart 21

Beitrag von Vielfahrer »

Hallo,

in der heutigen Wochenendausgabe der Süddeutschen Zeitung findet sich ein über zwei ganze Seiten erstreckender Artikel zu Stuttgart 21, der höchst lesenswert ist. Den Artikel habe ich online nicht gefunden, er ist aber in der gedruckten Ausgabe enthalten. Meiner Ansicht nach ist er sehr gut recherchiert, lässt beide Seiten zu Wort kommen. Im Kern stellt die Süddeutsche Zeitung fest, dass es gar nicht mehr um den Bahnhof geht, sondern um die Frage, wer in Stuttgart die Macht habe. Kaufen lohnt sich also!
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Aus der Süddeutschen Zeitung zu Stuttgart 21

Beitrag von Vielfahrer »

Vielleicht hat der eine oder andere keine Gelegenheit gefunden, sich die Süddeutsche Zeitung vom Wochenende zu besorgen, deshalb auszugsweise ein erster Teil des Artikels "Eine Stadt entgleist" von Sebastian Beck und Martin Kotynek aus der Nr. 180 der Süddeutschen Zeitung vom 7./8. August 2010.

Die 38. Montagsdemonstration endet mit einem feierlichen Gelöbnis. Andreas Keller, der frühere Intendant der Stuttgarter Bachakademie, betet es den gut 4000 Demonstranten im Regen vor. Gemeinsam wiederholen sie: "Wir geloben, den Bahnhof zu schützen, den Nordflügel, den Südflügel. Wir geloben den Park zu schützen, jeden Baum. Wir geloben das Wasser zu schützen für die Mineralbäder." Nachdem sie auf diese Weise ihr politisches Glaubensbekenntnis abgelegt haben, ziehen die Menschen zur Stuttgarter Bahnzentrale. Später blockieren einige hundert wieder einmal die Straßen vor dem Bahnhof. Erst spät am Abend wird es ruhig, dann hält nur noch eine Mahnwache vor dem Bauzaun am Nordflügel die Stellung.

Hinter dem Metallgitter lauert schon ein einsamer Abrissbagger. Er ist der Vorbote einer gigantischen Baumaschinerie, die in den nächsten Jahren hier auffahren soll. "Stuttgart 21" heißt das Milliardenprojekt der Deutschen Bahn, das nicht nur das Gesicht der Stadt verändern wird, sondern auch den Schienenverkehr im Südwesten Deutschlands völlig umkrempelt - falls es denn je fertiggestellt wird. Die Demonstranten jedenfalls hoffen immer noch auf das Scheitern: "Wir geloben mit all unserer Kraft, für ein Moratorium zu werben", lautet eine Zeile aus dem Stuttgarter Glaubensbekenntnis vom Montag. Doch die Forderung nach einem Aufschub des Baubeginns und einem Bürgerentscheid stößt bei Bahn und Stadt auf kategorische Ablehnung.

"Man muss es jetzt machen", bekräftigt Wolfgang Drexler, der Vizepräsident des Landtags von Baden-Württemberg. Der SPD-Politiker hält seit einigen Monaten den Kopf hin als Sprecher des Kommunikationsbüros von Stuttgart 21. Ein schwieriger Posten, wie er einräumt. "Wenn Sie hier für das Projekt sind, dann werden sie erst mal niedergemacht", sagt Drexler und fährt sich mit dem Finger quer über die Kehle. Dann zeiht er eine anonyme Morddrohung aus dem schwarzen Jackett hervor. Er hat schon einige solche Briefe bekommen.

Stuttgart, sonst so solide und aufregend wie die E-Klasse von Merceces, ist kaum wiederzuerkennen. Die schwäbische Stadt hat sich zur Metropole des Bürgerzornes entwickelt. Mittlerweile vergeht kaum mehr ein Tag ohne Protestaktionen vor dem Nordtrakt des denkmalgeschützten Hauptbahnhofs. Auch an diesem Samstag werden sie dort demonstrieren - und danach durch die Innenstadt ziehen. Der Anbau ist zum Symbol des Widerstands geworden, weil er in den nächsten Wochen Stein für Stein abgetragen wird. Genau hier sollen in einem Jahrzehnt die Gleise des unterirdischen Hauptbahnhofs verlaufen und Stuttgart an die Magistrale von Paris nach Budapest anbinden. Auch der Nahverkehr, so lautet das Versprechen, werde davon profitieren. Die Fahrzeit vom Hauptbahnhof zum Flughafen verkürzt sich beispielsweise von 27 auf acht Minuten.

Jedoch die Mehrheit der Bürger in Stuttgart, das zeigen auch Umfragen, will "oben bleiben". So steht es auf den Stickern, die überall in der Stadt zu sehen sind. Es ist ziemlich cool, sich als Gegener des Bahnprojekts Stuttgart 21 zu outen, indem man sich die grünen Einkaufstaschen mit dem Logo "K21" über die Schultern wirft. Das Kürzel steht für "Kopfbahnhof 21", das Alternativkonzept der Bürgerinitiativen.

Grüne, Altlinke, Hartz-IV-Empfänger, Gewerkschafter, Kulturschaffende, Kommunisten, Spontis, neuerdings auch Mütter, dazwischen ein paar Wirtschaftsprüfer, Steuerberater und Ärzte aus den Villenvierteln in Halbhöhelage auf den Hügeln - sie alle haben sich zu einem Bündnis zusammengeschlossen, das ein bisschen wie ein Revival der 80er Jahre wirkt, als die Ökobewegung gegen die Startbahn-West und die Wiederaufbereitungsanlage Wackersdorf ins Feld zog. Sie wollen wenigstens eine Bürgerbefragung zu Stuttgart 21 erzwingen, denn sie wissen, es wäre das Aus für das Projekt.

Einer ihrer Anführer ist Gangolf Stocker. Der 66-jährige Kunstmaler sitzt für das Bündnis "Stuttgart-Ökologisch-Sozial" im Gemeinderat. Er kann nach 16 Jahren Widerstand von den Risiken des Gipskeupers beim Tunnelbau nahtlos zu eher demokratietheoretischen Fragen wechseln. "Die Lage spitzt sich permanent zu", sagt Stocker, "In der Bevölkerung ist die Wut riesengroß". Ihm kommt das nur gelegen.

In den vergangenen Tagen ist es erstmals zu Auseinandersetzungen mit der Polizei gekommen. Es gab auch etliche Festnahmen, nachdem einige Aktivisten in den Nordflügel des Bahnhofs eingedrungen waren. Einer von ihnen wurde in Untersuchungshaft genommen. Seitdem marschiert bei Treffen der Stuttgart-21-Gegner die Bereitschaftspolizei auf, Helm und Schlagstock griffbereit.

Auch die Diskussionskultur auf dem Bahnhofsvorplatz hat unter der Wut inzwischen gelitten. "Ich hau dir eine in die Fresse", zischt ein Domonstrant dem Befürworter des Tiefbahnhofs nach, der sich während der ersten Mittwochslesung unter die Menge gewagt hat. Vorne wird derweil Martin Luther King zitiert.

Die Pläne für Stuttgart 21 gelten hier als "unglaubliches Verbrechen" und Anschlag auf die Menschenwürde. Unter den Bürgern hat sich Angst vor Veränderungen breitgemacht, vor dem Verlust ihrer Lebensqualität und der Zerstörung der Heimat. Lästerliche Bemerkungen über den alten Haupbahnhof sollte man ebenso unterlassen wie Sympathiebekundungen für Schnellfahrtrassen. "Das war hier mal einer der modernsten Bahnhöfe Europas", hebt eine ältere Frau an und redet sich schnell in Rage: Keinesfalls wolle sie 20 Jahre lang mit einer Baustelle leben. Und dann diese Bullaugen auf dem Dach des Tiefbahnhofs, einfach schrecklich. Der könne in Singapur gebaut werden oder sonst wo. Aber doch bitte nicht hier. Denn Stuttgart, und das betont sie gleich zweimal, Stuttgart sei nun mal ein "gediegener Ort".

Wer sich in diesen Tagen einen Überblick über die Lage verschaffen möchte, der sollte einmal hinauf auf eine der Anhöhen wandern und von dort oben das politische Schlachtfeld betrachten: Als erstes fällt auf, dass sich hier eine Stadt in einen engen Talkessel zwängt wie ein Übergewichtiger in ein zu kleines Sakko.

Vom Stadtzentrum und dem Neuen Schloss aus zieht sich entlang der einstigen Bachaue ein kilometerlanger Park in nordöstlicher Richtung - es ist der Schlossgarten, oder besser gesagt: das, was davon übrig ist. Zum einen wird der Grünzug von mehrspurigen Straßen bedrängt und durchschnitten, sodass er stellenweise nur noch den Charakter einer Verkehrsinsel hat. Zum anderen wurde vor knapp hundert Jahren der Stuttgarter Hauptbahnhof einfach ins Tal betoniert: Ein düster wirkender Monumentalbau des Architekten Paul Bonatz, der Stilelemente der späteren NS-Architektur vorweggenommen hat. Um eine ebene Fläche zu erhalten, muste damals eine Rampe aufgeschüttet werden, die zum Schlossgarten hin mit einer haushohen Mauer abschließt. Seitdem zerteilen Gleisanlagen die Stadt in zwei Hälften - eine Brache aus Stahl mitten in der City.

Diesen Mißstand wollen die Planer auf eine radikale Weise beseitigen: Sämtliche Gleise des Hauptbahnhofs sollen unter die Erde verlegt und noch dazu um 90 Grad gedreht werden. Von der künftigen ICE-Neubaustrecke entlang der Autbahn A8 von Ulm werden die Züge über den Flughafen durch einen Tunnel zum Hauptbahnhof geleitet - und von doet aus weiter auf die bestehende Trasse nach Mannheim. Was sich im Prinzip einfach anhört, ist nur ein kleiner Teil eines Infrastruktur- und Städtebauprojekts, dessen Kosten samt Neubaustrecke derzeit auf insgesamt sieben Milliarden Euro beziffert werden, Tendenz steigend. Erst Ende Juli musste die Bahn die Kostenschätzung um 865 Millionen Euro nach oben korrigieren. Schon jetzt ist Stuttgart 21 eines der größten und teuersten Bauprojekte aller Zeiten.
Vielfahrer
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Fortsetzung, Teil 2

Beitrag von Vielfahrer »

Dafür aber könnte nach dem Jahr 2020 in Stuttgart ein neuer Stadtteil entstehen, der in einen um 20 Hektar erweiterten Park übergeht. Das werde eine der schönsten Wohnlagen Baden-Württembergs, versichert der Düsseldorfer Architekt Christoph Ingenhoven. Mittlerweile ist es fast 13 Jahre her, dass er für seinen Entwurf des unteriridischen Bahnhofs den Zuschlag der Jury bekommen hat. "Die Erweiterung der Innenstadt ist die eigentliche Chance", sagt Ingenhoven. Er verfolgt fassungslos, wie die Gegner sein anfangs gefeiertes Jahrhundertprojekt zerpflücken und ihn zum "Lügenpack" aus Politik und Wirtschaft rechnen: "Es fällt mir schwer zu akzeptieren, wie die Linken nun in Robin-Hood-Manier die moralische Keule rausholen, wonach eine böse Maschine über die Menschen in Stuttgart hinwegrollt".
Ingenhovens größter Widersacher ist einer derjenigen, die aus der Halbhöhenlage auf Stuttgart herabblicken. Er heißt Roland Ostertag und unterichtete Architektur an mehreren Universitäten. Ostertag spricht gerne über Topographie und das "Grundgesetz der Stadt". Nach seinem Selbstverständis ist er damit so etwas wie ein Hüter der Verfassung.

In einem ehemaligen Künstleratelier hat Ostertag eine Ausstellung zur Baugeschichte der Stadt zusammengetragen: Im Zentrum steht ein großes Stadtmodell, an den Wänden wird es flankiert von historischen Karten, von Fotos der Kriegsschäden und aus der Zeit des Wiederaufbaus. Folgt man Ostertags Argumentation, dann lautet der Artikel 1 des Stuttgarter Grundgesetzes: Die Stadt öffnet sich mit dem Schlossgarten zum Neckartal hin, und zwar "seit Jahrtausenden", wie Osertag mit einem Hauch von Pathos anfügt.

Doch damit ist es nach Ansicht von Ostertag vorbei, wenn die Pläne seines Kollegen Ingenhoven verwirklicht werden: Denn quer unter dem mittleren Schlossgarten soll künftig der Bahnhof verlaufen. Über der Erde wird davon eine mit Gras bepflanzte Wölbung zu sehen sein, auf der sich Lichtkuppeln verteilen. "Ich halte diesen Wall geradezu für ein städtebauliches Verbrechen", sagt Ostertag. Nicht nur weil dafür knapp 300 Parkbäume gefällt werden müssen. Vielmehr werde dadurch die klimatische Be- und Entlüftung Stuttgarts gefährdet, aber auch die geistige.

Letztere war schon immer ein gewisses Problem, das räumen die Befürworter und Gegner von Stuttgart 21 gleichermaßen ein. Die Stadt fristete noch Mitte des 19. Jahrhunderts ein Dasein als unbedeutendes Provinznest, während München oder Berlin bereits aufblühten. Erst mit der Industrialisierung wuchs Stuttgart zur Großstadt mit 600 000 Einwohnern heran und blieb doch stets bodenständig - oder wie Ostertag es formuliert: "Stuttgart ist eine Stadt voller Minderwertigkeitskomplexe und Profilneurosen. Die ökonomische Betrachtung steht immer an erster Stelle."

Wahrscheinlich ist as auch einer der Gründe dafür, warum in Stuttgart die Städteplaner und Architekten nach dem Krieg so wüteten wie in kaum einer anderen deutschen Stadt: Sie schlugen Verkehrsschneisen in die Altstadt und rissen bedenkenlos ab, was den Bombenhagel überstanden hatte. An der Stelle historischer Häuser entstanden sehr stuttgarterisch wirkende Zweckbauten, eine Mischung aus Parkhaus- und Versicherungsarchitektur, deren Tiefpunkt der Landesbank-Riegel am Bahnhof markiert.

Von städtebaulichen Visionen will die Mehrheit im wohlhabenden Stuttgart nichts mehr wissen - selbst wenn es ein Park mit 5 000 neu gepflanzten Bäumen ist oder ein futuristischer Tunnelbahnhof, neben dem sich der Bonatzbau wie eine Ordensburg ausnimmt. Stuttgart stellt sich jetzt einfach mal ganz stur.

Die Bürgerinitiativen setzen dem S-21-Projekt der Bahn das eigene K-21-Konzept entgegen: Dessen Hauptvorteil wäre, dass der alte Kopfbahnhof erhalten bliebe - damit aber auch die meisten Gleise im Tal. Der Anschluss an die ICE-Strecke nach Ulm müsste über eine neue Neckarbrücke bei Untertürkheim und einen kilometerlangen Tunnel erfolgen. Doch genau diese Variante wurde von der Bahn bereits in den 90er Jahren verworfen - auch aus Gründen des Umweltschutzes. K 21 sei eben eine Amateurplanung, die noch präzisiert werden müsste, räumen selbst Unterstützer der Bürgerinitiative ein. Sie wissen genau, dass K 21 keine Alternative zu Stuttgart 21 ist. Wenn S 21 nicht gebaut wird, dann wird gar nichts gebaut - und das für mindestens ein Jahrzehnt. Das bestätigt auch die Bahn, die außerdem geradezu genüßlich die Kosten von K 21 vorrechnet: Sie liegen demnach nur unwesentlich unter jenen der S-21-Variante, mit dem Unterschied, dass für das Bürgerkonzept noch kein Baurecht besteht.

Doch auch gegen S 21 gibt es schwerwiegende Bedenken. Sie betreffen vorallem die Leistungsfähigkeit des Tunnelsystems unter der Stadt und passen so gar nicht zu den Hochglanzbroschüren, mit denen die Bahn die Stimmung drehen will. Während dort von Kapazitätssteigerungen zu lesen ist, hat das Schweizer Ingenieursbüro SMA das Land Baden-Württemberg schon vor zwei Jahren vor "knapp dimensionierter Infrastruktur", Fahrzeitverlängerungen und einem "hohen Stabilitätsrisiko" des Betriebs gewarnt. Das Land hat das Gutachten selbst in Auftrag gegeben, über dessen Ergebnisse aber nicht berichtet. Erst in der vergangenen Woche wurden die Unterlagen öffentlich, in denen die Schweizer von einem "Gesamtsystem" schreiben, das "nur sehr schwer beherrschbar" sei. Einige der geplanten Abschnitte seien so steil und stark ausgelastet, dass "Störungen schnell übertragen werden".

Auch die Fachleute des Münchner Planungsbüros Vieregg-Rössler klagen, dass das Tunnelsystem unter der Stadt zu eng bemessen sei. Schon ein um wenige Minuten verspäteter Zug könne eine Kettenreaktion auslösen, die den gesamten Fahrplan durcheinanderbringe. Eine Engstelle sei auch der Tunnelbahnhof selbst: Statt wie bisher 16 Gleise soll es künftig nur noch halb so viele geben. Die Züge müssen das Gleis daher schon kurz nach der Einfahrt in den Bahnhof wieder freimachen - auf verspätete Anschlusszüge können sie nicht mehr warten, sagen die Planer von Vieregg-Rössler.

Engstellen haben die Münchner ebenso am Flughafen-Bahnhof erkannt, wo ICE-Züge und Regionalbahnen für beide Fahrtrichtungen nur ein Gleis haben; und auch entlang der Strecke gebe es mehrere Kreuzungen, an denen sich Züge gegenseitig behindern. Zwar lassen sich solche Probleme durch ausgeklügelte Fahrplüne mit Zeitpuffern lösen; einige Schwachpunkte seien in den vergangenen zwei Jahren auch bereits beseitigt worden, heißt es bei SMA heute. Doch je mehr Engstellen ein System hat, desto weniger Spielraum lässt es den Planern - und desto weniger Möglichkeiten hat die Bahn, im Betrieb auf Störungen zu reagieren.

Für die Kritiker des Projekts heißt das: Staus und Verspätungen werden in Stuttgart zum Normalfall, ausgerechnet die Bahnfahrer sind die Verlierer des Milliardenprojekts. Für Bahn-Chef Rüdiger Grube überwiegen hingegen die Vorteile des Projekts. Er kennt die Argumente der Gegner. Nein, sagt er, die Kapazität der neuen Infrastruktur sei nicht kleiner als die des alten Bahnhofs; nein, auch bei Stuttgart 21 gebe es genug Ausweichmöglichkeiten im Falle einer Störung; und nein, die Züge behindern sich nicht. "Das Gesamtvorhaben steigert die Attraktivität des Standorts Stuttgart und Baden-Württemberg", ist Grube überzeugt.

(Der Artikel geht noch weiter)
Vielfahrer
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Re: Interessanter Bericht zu Stuttgart 21

Beitrag von Vielfahrer »

Die politischen Verlierer der quälend langen Diskussion stehen bereits fest: Es sind inbesondere CDU und SPD. Stuttgarts CDU-Oberbürgermeister Wolfgang Schuster klingt verbittert und klagt über mangelnde Unterstützung: "Ich werde seit drei Jahren persönlich diffamiert und bedroht." Er sei der Einzige gewesen, sagt Schulster, der sich öffentlich hingestellt und Vorträge gehalten habe. Es hat offensichtlich nichts gebracht, im Gegenteil: Kommunikativ sei man in die Defensive geradten, das gibt er unumwunden zu. Bei den Domonstaranten hat er allerdings nie vorbeigeschaut.

Drexler, der SPD-Mann, soll ihm jetzt als Leiter des neuen Kommunikationsbüros dabei helfen, Stimmung für das Projekt zu machen. "Wir bauen hier doch kein Atromkraftwerk, sondern einen neuen Schienenweg", verkündet Drexler immer wieder aufs Neue. Doch seine Parolen kommen selbst in der eigenen Partei nicht wirklich an: Drexler, so heit es, werde mit seinem Kurs die Sozialdemokraten im Land endgültig ruinieren. Insgeheim schielen viele in der baden-württembergischen SPD voll Neid zu den Grünen hinüber. Ausgerechnet die Öko-Partei hat das Kunststück geschafft, sich mit dem Widerstand gegen ein Bahnprojekt zu profilieren. Mit dieser Strategie kopiert sie das Erfolgsrezept der CSU, die sich in Bayern jahrelang mit dem Wind gedreht hat.

In Stuttgart haben die Grünen ihre Gegner von CDU und SPD bei der letzten Kommunalwahl überholt und stellen nun die größte Fraktion im Stadtrat. Doch nicht nur in der Landeshauptstadt ,konnten die Grünen weit ins bürgerliche Lage eindringen.

Tübingens Oberbürgermeister Boris Palmer werden gute Chancen eingeräumt, dass er 2012 im Stuttgarter Rathaus die Nachfolge von Schuster antritt. Schon bei seiner ersten OB-Kandidatur im Jahr 2004 hatte es der grüne Palmer auf 21,5 Prozent gebracht. Und seine Botschaft ist in Stuttgart absolut mehrheitsfähig: "Wenn dieses Projekt jetzt mit der Brechstange durchgesetzt wird, zerstört das hier mehr als den Bahnhof: das Vertrauen breiter Schichten in die kommunale Demokratie."

Auch Architekt Ingenhoven hat mittlereweile so seine grundsätzlichen Zweifel - allerdings an der Gesinnung der Projektgegner: Man habe doch allein im Rahmen des Planfeststellungsverfahrens mehr als 11 000 Einwendungen behandelt, referiert er. "Über das Projekt wurde auf jeder Ebene bis hin zum Bundestag abgestimmt. Es gab eine Reihe von Gerichtsurteilen. Das Ergebnis war immer zustimmend." von den Demonstranten wünsche er sich schon ein wenig mehr Respekt vor demokratischen Beschlüssen.

Doch auf den Straßen von Stuttgart geht es längst nicht mehr um Sinn oder Unsinn eines Milliardenprojekts. Es geht um viel mehr: Es geht um die Frage, wer das Sagen hat in der Stadt. Es geht um Demokratie und Politikverdrossenheit, um den Kampf zwischen Gut und Böse, zwischen der "dunklen Seite der Macht" und den Lichtgestalten des Widerstands, wie Grünen-Chef Cem Özdemir den Demonstranten bei der Montagsdemo einschärft. Auf einer Internetseite linker Aktivisten wird die moralische Botschaft in einem Satz zusammengefasst: "Gespart wird bei den Schwachen und Schwächsten der Gesellschaft, nicht jedoch an Projekten, die Banken und Spekulanten zu Gute kommen, wie S 21."

Es ist ein Kampf, der irrational erscheint, denn das Projekt ist längst beschlossen. Doch gerade weil Argumente und Konzepte keine große Rolle mehr spielen, erhält die Protestbewegung immer mehr Zulauf. Der Widerstand wird von einer gewissen Lust an der Revolte befeuert - jetzt erst recht, da die Bahn mit dem Abrissbagger Fakten schafft. Nächstes Jahr sollen im Schlosspark die ersten Bäume gefällt werden. Es wird hässliche Bilder geben, wenn die Polizei womöglich Ärzte und Künstler gewaltsam von den Ästen holen muss. Und am 27. März ist Landtagswahl in Baden-Württemberg.

"Wir ziehen das jetzt durch", dagt der Anführer der Revolte, Gangolf Stocker.
"Wir können keine Kompromisse machen", sagt der Chef-Lobbyist des Projekts, Wolfgang Drexler.
Es sind Sätze, die in diesen TAgen wie Drohungen klingen.

Der Beitrag von Sebastian Beck und Martin Kotynek in der Wochenendeausgabe der Süddeutschen Zeitung stellt dann noch die fünf Hauptakteure Wolfgang Schuster, Gangolf Stocker, Christoph Ingenhoven, Roland Ostertag und Wolfgang Drexler vor, und schließt mit einem ca. 80 cm breiten Bild eines Modells von S 21 und zwei Karten zum Bahnprojekt S 21 ab.

Wieder mal bei der Süddeutschen Zeitung eine sehr gute Information.

In der gleichen Ausgabe übrigens findet sich ein weiterer höchst lesenswerter Artikel "Die Drecksflotte" auf der wissenschaftlichen Seite. Dort wird festgestellt: Luftverpester auf großer Fahrt: Die Schiffe auf den Ozeanen belasten die Umwelt ähnlich stark mit Feinstaub, Schwefel und Kohlendioxid wie der weltweite Autoverkehr (800 Millionen Fahrzeuge!). Den Artikel von Alexander Stirn will ich jedoch in dieses Forum nicht einstellen.

Heute dann ein Artikel auf der Seite Mobiles Leben über Auskunft mit beschränkter Haftung: Warum die elektronischen Fahrpläne im öffentlichen Nah- und Fernverkehr nicht immer korrekt sind. Außerdem: Wieder unter Dampf. Nach 27 Jahren harter Arbeit von Tausenden Eisenbahn-Begeisterten aus ganz Europa wird am Donnerstag die Furka-Bergstrecke komplett befahrbar sein.

Welch Glück, dass ich neben meinem SZ-Abo auch im ICE-Ersatz immer die Süddeutsche bekommmen kann. Da wird die Zugfahrt nie lange.
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Christian
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Re: Interessanter Bericht zu Stuttgart 21

Beitrag von Christian »

Mensch, jetzt glühen einem aber die Finger ... :Frol:

Danke fürs einstellen.
Grüße,
Christian
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Christian
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Re: Interessanter Bericht zu Stuttgart 21

Beitrag von Christian »

Hab hier noch etwas interessantes (ja, aus einem anderen Board) gefunden:

[youtube1]http://www.youtube.com/watch?v=RlMCE2kS ... r_embedded[/youtube1]

Chris :Cool:
Grüße,
Christian
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Villinger
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Re: Interessanter Bericht zu Stuttgart 21

Beitrag von Villinger »

Sehr interressanter Bericht über Stuttgart 21 :Genial: das Projekt selbst ist trotzdem ein Haufen Asche.
Zuletzt geändert von Villinger am Do 12. Aug 2010, 19:38, insgesamt 1-mal geändert.
Bild Aus dem Fridinger wurde der Villinger Bild
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Tf Reinhard
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Re: Interessanter Bericht zu Stuttgart 21

Beitrag von Tf Reinhard »

Fridinger hat geschrieben:das Projekt selbst ist trotzdem ein Aufen Asche.
"Aufen" ist woanders. Und der dortige Halt ist keine Asche. :zunge:

Reinhard
Ich bn wie ich bin. Die einen kennen mich, die anderen können mich. Manche auch beides.
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Villinger
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Re: Interessanter Bericht zu Stuttgart 21

Beitrag von Villinger »

Klar - Schon editiert :Frol: :pfeifen:
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