Höchste Eisenbahn für Elektrifizierung

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Vielfahrer
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Höchste Eisenbahn für Elektrifizierung

Beitrag von Vielfahrer »

Auf der Strecke von Zürich nach München gehen die SBB gegen Flixbus in die Offensive – mit jahrelanger Verzögerung und Verspätung

Der NZZ-Redakteur Gerald Hosp war auf einer Pressefahrt der Deutschen Bahn im Bus unterwegs und hat dazu in der heutigen Ausgabe vom 19. August 2019 den folgenden Bericht verfasst:

Jetzt geht es auf einmal schnell. Nachdem jahrzehntelang über eine Elektrifizierung der Bahnstrecke von München bis Lindau und weiter nach Zürich diskutiert wurde, sollen ab Ende 2020 Züge mit Strom durchs Allgäu fahren. Der Spatenstich für die Bauarbeiten erfolgte in Memmingen im März 2018. Durch den Ausbau der Strecke verkürzt sich die Fahrzeit zwischen Zürich und München auf rund dreieinhalb Stunden. Dadurch gewinnt die Bahn gegenüber Fernbus und Flugzeug wieder an Attraktivität.

Ausbauarbeiten unter Strom

Projektleiter Mattias Neumaier von der Deutschen Bahn lässt es sich nicht anmerken, dass er unter Strom steht. Knapp 3.600 Masten für die Oberleitungen müssen aufgestellt werden, hinzu kommen neue Bahnübergänge und Brücken sowie Schallschutzwände und auch der Umbau von Bahnhöfen. In Lindau wird gar eine Station erstellt, die den bisherigen Bahnhof auf der Altstadtinsel für den Fernverkehr ersetzen soll. Dadurch müssen die Züge nicht mehr die Richtung wechseln, und wegen der durchgängigen Elektrifizierung entfällt auch der Austausch der Diesellokomotive, was Zeit spart.

Um den Zeitplan einzuhalten, wird auch auf ein für die Deutsche Bahn unübliches Vorgehen zurückgegriffen: Die Baugenehmigungen holt sich das Unternehmen phasenweise ein. Das derzeitige Drängen der Deutschen Bahn hat auch praktische Gründe. Bereits 2009 vereinbarten Deutschland, die Schweiz und das Bundesland Bayern, den Verkehr auf der Bahnstrecke schneller zu machen. Bern schob das Projekt mit einem zinsfreien Darlehen von 50 Mio. € an. Das Abkommen mit der Schweiz sieht derzeit vor, dass ab Ende 2020 die Elektrifizierung fertiggestellt sein muss.

Lange Zeit schob die Schweiz aber ins Leere an, weil diese Art der Vorfinanzierung für öffentliche Bauvorhaben in Deutschland ungewöhnlich war. Das deutsche Verkehrsministerium, das für den Ausbau bezahlt, hatte sich zunächst dagegen gesträubt. Von der Deutschen Bahn heißt es zudem, neue Prognosen für das Verkehrsaufkommen machten es auch erforderlich, Schallschutzwände aufzustellen, was das Projekt verteuerte und zusätzlich verzögerte. Die Kosten für die Elektrifizierung betragen nach vorläufiger Schätzung 500 Mio. €. Für den Umbau in Lindau sind 150 Mio. € vorgesehen.

1967 berichtete die NZZ, dass sich eine Elektrifizierung der Strecke ins Allgäu nicht lohne, weil das Verkehrsaufkommen zu gering sei. Damals wurde von Dampflokomotiven auf Züge mit Dieselantrieb umgestellt. Bisher hat sich die „Dieselinsel“ Allgäu gehalten. Mit dem jetzigen Ausbau zielen die Bahnen in der Schweiz, in Österreich und in Deutschland vor allem auf Geschäftsreisende und den Freizeitverkehr ab. Weil es immer noch lange eingleisige Streckenabschnitte in Deutschland geben wird, bleibt die Strecke für den Güterverkehr wenig attraktiv, zumal sie auch quer zu den wichtigen europäischen Nord-Süd-Achsen liegt. Ein Hauptverkehrsweg sieht anders aus.

Auch Bahn betreibt Bus

Die Verbindung zwischen Zürich und München, die nur 300 km Luftlinie auseinanderliegen, ist aber beim Personenverkehr das Paradebeispiel für die Konkurrenz zwischen Bahn, Bus und Flugzeug. Derzeit bieten die Fluggesellschaften Swiss und Lufthansa doppelt so viele Flüge an, als es direkte Zugverbindungen gibt. Die Flugzeit beträgt eine knappe Stunde. Seit der Liberalisierung des Fernbusverkehrs in Deutschland fahren auch Flixbus sowie andere Betreiber die Strecke. Flixbus bietet an Spitzentagen bis zu 19 Fahrten zwischen Zürich und München an. Die günstigste Fahrt kostet knapp 18 €. Die Fahrzeit einer Expressverbindung gibt das Unternehmen mit 3 Stunden und 45 Minuten an – wenn es keine gröberen Verkehrsprobleme gibt. Angesichts der Konkurrenz haben auch die SBB zusammen mit der Deutschen Bahn Fernbusse auf der Strecke nach Bayern im Angebot.

Von der Deutschen Bahn heißt es, dass die Busverbindungen wahrscheinlich eingestellt werden, wenn die Bauarbeiten abgeschlossen sind, um nicht die Bahn zu konkurrenzieren. Die Fahrzeit des Zuges wird dann dank dem Ausbau und dem Einsatz der Neigetechnik kürzer sein als diejenige des Expressbusses. Im Januar 2020 geht auf der kurvenreichen Strecke Zürich – München der Schweizer Neigezug Astoro in Betrieb, mit einer Spitzengeschwindigkeit von 160 km/h. Zwischen St. Gallen und St. Margarethen ist die Strecke auch in der Schweiz ausgebaut worden, um die Neigetechnik besser zu nutzen. Die Bahn will gegenüber dem Bus zudem mit Komfort punkten.

Zu Beginn werden täglich statt vier Zügen in jeweils beiden Richtungen sechs im Einsatz sein. Laut den SBB könnte ein siebtes Zugpaar eingeführt werden, wenn die Passagierzahlen stimmen. Bei der Deutschen Bahn ist man bei dieser Frage noch vorsichtiger. Zukunftsmusik ist auch noch eine bessere Anbindung der Ostschweiz an das österreichische und das deutsche Bahnnetz. Es gibt Überlegungen, die S 7 der Thurgauer SBB-Tochter Thurbo, die heute in Rorschach endet, bis nach Bregenz in Österreich und nach Lindau zu verlängern.

Flixbus möchte sich nicht in die Karten schauen lassen, wie das Unternehmen auf das verbesserte Angebot der Bahnen reagieren wird. Ein Firmensprecher betont vielmehr die Vorzüge der eigenen Dienstleistungen. Es ist aber klar, dass die Fernbusse vor allem wegen ihres Preisvorteils nachgefragt werden. Von Swiss heißt es, es gebe noch keine Überlegungen zu den Plänen der Bahn. Die Strecke zwischen Zürich und München diene zu einem wesentlichen Teil als Zubringer in beide Richtungen. Aus Sicht der Bahnen kommt die Elektrifizierung der deutschen Bahnstrecke reichlich spät, weil sich die Konkurrenz vor allem seit der Liberalisierung in Deutschland 2013 in Form von Bus und Flugzeug etablieren konnte. Für die Reisenden zeigte sich jedoch, dass der Wettbewerb günstige und schnelle Varianten brachte. Bis die Bahn aber auf der Fernstrecke von Zürich nach München mit Bus und Flugzeug wird mithalten können, gilt es für Reisende, Unannehmlichkeiten in Kauf zu nehmen. Streckensperrungen und Ersatzverkehr mit Bussen werden noch für einige Zeit auf dem Fahrplan stehen.

Viele Grüße vom Vielfahrer
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