Volksabstimmung über Bahn-Finanzierung in der Schweiz
Verfasst: Fr 10. Jan 2014, 22:24
Am 9. Februar wird in der Schweiz für eine Vorlage zur Finanzierung und zum Ausbau der Eisenbahn (Fabi) abgestimmt. Im Vorfeld kommen die Gegner wie die Befürworter in den Medien unseres Nachbarlands ausführlich zu Wort. Neben den schon beschlossenen Infrastrukturmaßnahmen in einer Höhe von 5,4 Mrd. CHF geht es bei Fabi um weitere 6,4 Mrd CHF, mit denen 19 regionale Teilprojekte gefördert werden sollen, die primär dem Kapazitätsausbau und der Leistungssteigerung dienen. Es handelt sich um die Strecken Lausanne-Genf, Lausanne-Bern, Ligerz - Twann, Gümligen - Münsingen, Bern-Luzern, Zürich-Chur, Rupperswil - Mägenweil, St. Gallen - Chur, Bellinzona - Tenero, Vevey-Blonay, Luzern - Stans/Giswil, Landquart/Chur - Davos/St. Moritz, Zermatt-Täsch/Brig-Fiesch, St. Gallen-Rapperswil/Wil-Nesslau und Worblaufen-Solothurn sowie um die Knotenbahnhöfe in Genf, Basel Ost, Pratteln, Bern, und Lugano. Daneben sollen 5 Projektierungen finanziert werden und drei Studien.
In einem ausführlichen Interview mit dem ETH-Professor für Verkehrssysteme, Ulrich Weidmann, werden viele Aspekte des Eisenbahnverkehrs aufgezeigt. Auszugsweise einige Passagen. Die Fragen für die NZZ stellte Paul Schneeberger.
NZZ: Herr Weidmann, wie glücklich sind Sie mit der Vorlage zur Finanzierung und zum Ausbau der Eisenbahn (Fabi)? Sie waren ein Fürsprecher von Beschleunigungen zwischen Zentren. Nun sind vor allem punktuelle Ausbauten der Kapazitäten vorgesehen.
Weidmann: Wir haben es mit einem Primat der regionalen Betrachtungsweisen zu tun: niemand scheint sich noch wirklich für die nationale Perspektive verantwortlich zu fühlen. Die Ausbauten von Fabi stiften vorab regionalen Nutzen; einzelne können als Vorleistungen für nationale Ausbauabschnitte interpretiert werden.
NZZ: Müssten nicht vor allem jene eine nationale Perspektive haben, welche solche Geschäfte für die Politik vorbereiten, die SBB und die Bundesverwaltung?
Weidmann: Ich habe den Eindruck, das regionale Denken ist Ausdruck des Zeitgeistes. Man stellt das auch in anderen Politikbereichen und in anderen Ländern fest. Die vorbereitenden Akteure gehen pragmatisch mit der offensichtlichen Stärke der Kantone als den dominanten Treibern um. Diese gewannen durch verstärkte Mitfinanzierungen und die von ihnen maßgeblich mutgeprägten Agglomerationsprogramme an Gewicht.
NZZ: Mit Fabi wird die konzeptionelle Eisenbahnplanung von den SBB zum Bundesamt für Verkehr verlagert. Wie ist das zu werten, was ist davon zu erwarten?
Weidmann: Die Konsequenzen dieser Verlagerung werden zu beobachten sein. Grundsätzlich ist es am sinnvollsten, wenn Prozesse möglichst nahe bei jenen angesiedelt sind, die auch operativ tätig sind.
NZZ: Das spräche für die SBB.
Weidmann: Es spräche für größtmögliche Nähe zum Betreiber der Infrastruktur. Die SBB sind ja mehr als das, und da kann es intern zu Interessenkonflikten kommen. Optimal wäre es gewesen, wenn man zu erst die Neuorganisation der Bahninfrastruktur definiert hätte. Als weitere getrennte Schritte hätten sich dann idealerweise das Finanzierungskonzept entwickeln und die Ausbauschritte beschließen lassen.
NZZ: Der Bundesrat will aber die künftige Organisation der Bahninfrastruktur erst nach dem Volksentscheid zu Fabi in die Vernehmlassung geben.
Weidmann: Ja. Insofern sind dort auch keine wesentlichen Veränderungen zu erwarten. Die stärkere Steuerung durch die Verwaltung ist der Preis, den wir für den Erhalt der integrierten Bahn bezahlen, die sowohl Infrastruktur- als auch Verkehrsunternehmen ist.
NZZ: Würde eine Trennung von Infrastruktur und Betrieb nicht die Qualität des Betriebs gefährden?
Weidmann: Dem kann, muss aber nicht so sein. Es ist eine Frage, ob man negativ oder positiv an diesen Reformschritt herangeht. Das Hauptproblem besteht darin, dass die europäischen Bahnen ihre Energie seit 25 Jahren primär darauf verwenden, darzulegen oder zu beweisen, weshalb das nicht funktionieren soll.
NZZ: Diese Trennung brächte mehr finanzielle Transparenz. Sie trüge dazu bei, das Kostenwachstum im öffentlichen Verkehr zu begrenzen.
Weidmann: Sagen wir es so: Durch das Festhalten am Status quo bzw. allenfalls den Umbau der Bahnen in Holdings lässt sich kaum etwas einsparen.
NZZ: Zurück zur nationalen Komponente des Bahnausbaus: Immerhin werden in absehbarer Zeit auch die Fahrzeiten Zürich - St. Gallen und Bern - Lausanne weniger als eine Stunde betragen.
Weidmann: Ja. Aber damit wird bis 2030 nur erfüllt, was für das Jahr 2000 versprochen war. Zwischen St. Gallen und Genf werden wir im Schnitt auch dann gerade mit etwa 100 km/h unterwegs sein.
NZZ: Weshalb ist Ihnen so sehr an Beschleunigung im nationalen Verkehr gelegen? Wir sind doch ein kleines Land.
Weidmann: Höhere Geschwindigkeiten sind kein Selbstzweck. Der einfache und schnelle Transport zwischen verschiedenen Orten gehört zu den Standortvorteilen eines Landes. Dabei ist es wichtig, dass die spezifischen Vorteile der verschiedenen Verkehrsträger zum Tragen kommen. Das Auto ist flexibel, die Bahn hat einen geringen Flächenverbrauch und kann doppelt so schnell sein.
NZZ: Und mit dem an Fabi gekoppelten Ausbau spielt die Bahn nur den Trumpf des geringen Flächenverbrauchs aus?
Weidmann: Genau, es geht ausschließlich um die Fähigkeit, viele Personen auf wenig Raum zu transportieren, und das möglichst im ganzen Land. Den größten Nutzen stiftet die Bahn aber, wenn sie ihre beiden Trümpfe bei entsprechender Nachfrage ausspielen kann.
NZZ: Für Diskussionen sorgt immer wieder die Zukunft des Binnengüterverkehrs auf Schienen? Wie schätzen Sie diese ein?
Weidmann: Totgesagte leben länger! Der Binnengüterverkehr hat Zukunft - zumindest solange das Nachtfahrverbot für Lastwagen Bestand hat. Und es sieht nicht danach aus, dass an diesem gerüttelt würde. Ich gehe davon aus, dass es künftig Lösungen und gemischte Züge sowohl mit einzelnen Wagen wie auch mit kombinierten Systemen gibt. Wichtig ist, dass hier auf eine größere Flexibilität hingearbeitet wird: Güterzüge sollten ähnlich schnell unterwegs sein wie Reisezüge, und sie sollten sich wieder dezentraler bilden und trennen lassen.
NZZ: Ausbauten und eine immer stärkere Auslastung des Netzes führen zu einem größeren Unterhaltungsaufwand. Gibt es eigentlich eine Faustregel, welche Mehrkosten zusätzliche Belegungen von Gleisen beim Unterhalt nach sich ziehen?
Weidmann: Wesentlich bei den Aufwendungen für Eisenbahnanlagen sind die Fixkosten; sie machen schätzungsweise fünf Sechstel des Aufwandes aus, unabhängig von der Streckenbelegung. Nehmen Sie das Beispiel der Gotthard-Bergstrecke: Nach Inbetriebnahme des Basistunnels werden dort viel weniger Züge verkehren. Auf den Unterhaltungsaufwand hat das aber eher geringe Auswirkungen.
NZZ: Welches Rationalisierungs- bzw. Einsparpotential sehen Sie beim Unterhalt der Bahninfrastruktur? Im Moment gilt doch der tägliche Kampf ja immer noch der Zuverlässigkeit des Betriebs?
Weidmann: Ich meine, entscheidend wird sein, dass der Unterhalt noch stärker industrialisiert werden kann. Das heißt, es braucht eine stärkere Mechanisierung und größere zeitliche und örtliche Fenster für Baustellen. Hier wird in jedem Fall abzuwägen sein zwischen dem Effizienzgewinn und den Nachteilen, die zum Beispiel längere Streckensperrungen für die Passagiere mit sich bringen.
Viele Grüße vom Vielfahrer
In einem ausführlichen Interview mit dem ETH-Professor für Verkehrssysteme, Ulrich Weidmann, werden viele Aspekte des Eisenbahnverkehrs aufgezeigt. Auszugsweise einige Passagen. Die Fragen für die NZZ stellte Paul Schneeberger.
NZZ: Herr Weidmann, wie glücklich sind Sie mit der Vorlage zur Finanzierung und zum Ausbau der Eisenbahn (Fabi)? Sie waren ein Fürsprecher von Beschleunigungen zwischen Zentren. Nun sind vor allem punktuelle Ausbauten der Kapazitäten vorgesehen.
Weidmann: Wir haben es mit einem Primat der regionalen Betrachtungsweisen zu tun: niemand scheint sich noch wirklich für die nationale Perspektive verantwortlich zu fühlen. Die Ausbauten von Fabi stiften vorab regionalen Nutzen; einzelne können als Vorleistungen für nationale Ausbauabschnitte interpretiert werden.
NZZ: Müssten nicht vor allem jene eine nationale Perspektive haben, welche solche Geschäfte für die Politik vorbereiten, die SBB und die Bundesverwaltung?
Weidmann: Ich habe den Eindruck, das regionale Denken ist Ausdruck des Zeitgeistes. Man stellt das auch in anderen Politikbereichen und in anderen Ländern fest. Die vorbereitenden Akteure gehen pragmatisch mit der offensichtlichen Stärke der Kantone als den dominanten Treibern um. Diese gewannen durch verstärkte Mitfinanzierungen und die von ihnen maßgeblich mutgeprägten Agglomerationsprogramme an Gewicht.
NZZ: Mit Fabi wird die konzeptionelle Eisenbahnplanung von den SBB zum Bundesamt für Verkehr verlagert. Wie ist das zu werten, was ist davon zu erwarten?
Weidmann: Die Konsequenzen dieser Verlagerung werden zu beobachten sein. Grundsätzlich ist es am sinnvollsten, wenn Prozesse möglichst nahe bei jenen angesiedelt sind, die auch operativ tätig sind.
NZZ: Das spräche für die SBB.
Weidmann: Es spräche für größtmögliche Nähe zum Betreiber der Infrastruktur. Die SBB sind ja mehr als das, und da kann es intern zu Interessenkonflikten kommen. Optimal wäre es gewesen, wenn man zu erst die Neuorganisation der Bahninfrastruktur definiert hätte. Als weitere getrennte Schritte hätten sich dann idealerweise das Finanzierungskonzept entwickeln und die Ausbauschritte beschließen lassen.
NZZ: Der Bundesrat will aber die künftige Organisation der Bahninfrastruktur erst nach dem Volksentscheid zu Fabi in die Vernehmlassung geben.
Weidmann: Ja. Insofern sind dort auch keine wesentlichen Veränderungen zu erwarten. Die stärkere Steuerung durch die Verwaltung ist der Preis, den wir für den Erhalt der integrierten Bahn bezahlen, die sowohl Infrastruktur- als auch Verkehrsunternehmen ist.
NZZ: Würde eine Trennung von Infrastruktur und Betrieb nicht die Qualität des Betriebs gefährden?
Weidmann: Dem kann, muss aber nicht so sein. Es ist eine Frage, ob man negativ oder positiv an diesen Reformschritt herangeht. Das Hauptproblem besteht darin, dass die europäischen Bahnen ihre Energie seit 25 Jahren primär darauf verwenden, darzulegen oder zu beweisen, weshalb das nicht funktionieren soll.
NZZ: Diese Trennung brächte mehr finanzielle Transparenz. Sie trüge dazu bei, das Kostenwachstum im öffentlichen Verkehr zu begrenzen.
Weidmann: Sagen wir es so: Durch das Festhalten am Status quo bzw. allenfalls den Umbau der Bahnen in Holdings lässt sich kaum etwas einsparen.
NZZ: Zurück zur nationalen Komponente des Bahnausbaus: Immerhin werden in absehbarer Zeit auch die Fahrzeiten Zürich - St. Gallen und Bern - Lausanne weniger als eine Stunde betragen.
Weidmann: Ja. Aber damit wird bis 2030 nur erfüllt, was für das Jahr 2000 versprochen war. Zwischen St. Gallen und Genf werden wir im Schnitt auch dann gerade mit etwa 100 km/h unterwegs sein.
NZZ: Weshalb ist Ihnen so sehr an Beschleunigung im nationalen Verkehr gelegen? Wir sind doch ein kleines Land.
Weidmann: Höhere Geschwindigkeiten sind kein Selbstzweck. Der einfache und schnelle Transport zwischen verschiedenen Orten gehört zu den Standortvorteilen eines Landes. Dabei ist es wichtig, dass die spezifischen Vorteile der verschiedenen Verkehrsträger zum Tragen kommen. Das Auto ist flexibel, die Bahn hat einen geringen Flächenverbrauch und kann doppelt so schnell sein.
NZZ: Und mit dem an Fabi gekoppelten Ausbau spielt die Bahn nur den Trumpf des geringen Flächenverbrauchs aus?
Weidmann: Genau, es geht ausschließlich um die Fähigkeit, viele Personen auf wenig Raum zu transportieren, und das möglichst im ganzen Land. Den größten Nutzen stiftet die Bahn aber, wenn sie ihre beiden Trümpfe bei entsprechender Nachfrage ausspielen kann.
NZZ: Für Diskussionen sorgt immer wieder die Zukunft des Binnengüterverkehrs auf Schienen? Wie schätzen Sie diese ein?
Weidmann: Totgesagte leben länger! Der Binnengüterverkehr hat Zukunft - zumindest solange das Nachtfahrverbot für Lastwagen Bestand hat. Und es sieht nicht danach aus, dass an diesem gerüttelt würde. Ich gehe davon aus, dass es künftig Lösungen und gemischte Züge sowohl mit einzelnen Wagen wie auch mit kombinierten Systemen gibt. Wichtig ist, dass hier auf eine größere Flexibilität hingearbeitet wird: Güterzüge sollten ähnlich schnell unterwegs sein wie Reisezüge, und sie sollten sich wieder dezentraler bilden und trennen lassen.
NZZ: Ausbauten und eine immer stärkere Auslastung des Netzes führen zu einem größeren Unterhaltungsaufwand. Gibt es eigentlich eine Faustregel, welche Mehrkosten zusätzliche Belegungen von Gleisen beim Unterhalt nach sich ziehen?
Weidmann: Wesentlich bei den Aufwendungen für Eisenbahnanlagen sind die Fixkosten; sie machen schätzungsweise fünf Sechstel des Aufwandes aus, unabhängig von der Streckenbelegung. Nehmen Sie das Beispiel der Gotthard-Bergstrecke: Nach Inbetriebnahme des Basistunnels werden dort viel weniger Züge verkehren. Auf den Unterhaltungsaufwand hat das aber eher geringe Auswirkungen.
NZZ: Welches Rationalisierungs- bzw. Einsparpotential sehen Sie beim Unterhalt der Bahninfrastruktur? Im Moment gilt doch der tägliche Kampf ja immer noch der Zuverlässigkeit des Betriebs?
Weidmann: Ich meine, entscheidend wird sein, dass der Unterhalt noch stärker industrialisiert werden kann. Das heißt, es braucht eine stärkere Mechanisierung und größere zeitliche und örtliche Fenster für Baustellen. Hier wird in jedem Fall abzuwägen sein zwischen dem Effizienzgewinn und den Nachteilen, die zum Beispiel längere Streckensperrungen für die Passagiere mit sich bringen.
Viele Grüße vom Vielfahrer