Lotterie der Eisenbahn-Lizenzen
Verfasst: Di 21. Aug 2012, 15:16
Immer mehr an Bedeutung gewinnen Ausschreibungen, da nur wenige Verkehre kostendeckend zu betreiben sind. Um mit Steuergeldern veranwortungsvoll umzugehen, wird in Ausschreibungen offenbar ein Allheilmittel gesehen. Auch auf der Schiene.
In der aktuellen Ausgabe der Neuen Zürcher Zeitung vom 21.08.2012 findet sich ein lesenswerter Beitrag von Martin Alioth aus Dublin zur Situation in England.
Die Erneuerung der Lizenzen für den Betrieb von Eisenbahnen im Vereinigten Königreich hat mit einem Donnerschlag begonnen. Das System scheint Pokerspieler zu begünstigen.
Seit der Unternehmer Richard Branson und seine Virgin-Gruppe vergangene Woche die Franchise zum Betrieb der Eisenbahnlinie zwischen London und Glasgow verloren haben, herrscht dicke Luft. Branson, dessen Firma ab Dezember nicht mehr im britischen Eisenbahngeschäft tätig sein wird, bezeichnete die Lizenzvergabe an First Group, die gröste Eisenbahngesellschaft im Vereinigten Königreich, als "Irrsinn". Der Chef von First Group, der Amerikaner Tiom O'Toole, beschimpfte Branson umgehend als "hysterisch".
Zwei parlamentarische Ausschüsse erwägen derzeit Anhörungen, während Branson selbst noch vor Ende dieses Monats entscheiden muss, ob er Rekurs gegen die Vergabe einlegen will. Da mehrere Franchisen in den nächsten zwei Jahren zur Erneuerung anstehen, wird nun über das System schlechthin debattiert. First Group hatte der Regierung 5,5 Mrd. Pfund über die Laufzeit von 13 Jahren versprochen, wobei der Löwenanteil der Zahlungen erst gegen Ende der Vertragszeit fällig wird. Die Firma versprach überdies mehr Verbindungen und tiefere Billettpreise.
Vollmundige Versprechungen werden indessen nicht immer eingehalten. First Group selbst zog sich vorzeitig aus der Franchise zwischen London und Wales (Great Western) zurück, um Prämien zu sparen. Die Verbindung zwischen London und Edinburgh wird derzeit von einer Betriebsgesellschaft im Staatsbesitz betrieben, nachdem sich 2006 und 2009 nacheinander private Betreiber aus finanziellen Gründen zurückgezogen hatten. Branson beschuldigte deshalb seine Rivalin First Group, direkt auf einen Konkurs zuzusteiern.
Die Privatisierung britischer Eisenbahnen in den neunziger Jahren ging von der Grundidee aus, das Schienennetz vom Betrieb zu trennen. Railtrack, die ursprünglich private Eigentümerin der Infrastruktur, ist jedoch schon längst in die de facto staatliche Firma Network Rail übergeführt worden.
Die Bewerbung um Lizenzen ist ein aufwendiges Geschäft, vergleichbar vielleicht mit den voluminösen Offerten privater Firmen für Public-Private-Partnerships. Berater und Juristen verlangen saftige Honorare. Bransons Firma Virgin soll für ihre letzten vier, allesamt erfolglosen Bewerbungen runde 60 Mio. Pfund ausgegeben haben. Das britische Eisenbahnsystem, fand letztes Jahr ein Expertenbericht, sei rund 40% teurer als die entsprechenden Dienstleistungen in Frankreich, den Niederlanden, Schweden und in der Schweiz. Deshalb zahlen die Briten die höchsten Billettpreise pro Streckenkilometer in Europa. Die Benutzerzahlen sind zwar seit der Privatisierung in die Höhe geschnellt, nicht aber die Qualität des Service. Der Staat trägt seither mit jährlich rund 4 Mrd. Pfund weit mehr zur Finanzierung bei als in den Zeiten der staatlichen British Rail, während die Billetteinnahmen rund 6,6 Mrd. Pfund beisteuern.
Angesichts der laufenden Sparmaßnahmen des britischen Staats sollen die Passagiere schrittweise noch stärker zur Kasse gebeten werden, um den Fiskus zu entlasten. Die Billettpreise dürfen jährlich um 3% mehr als die Inflation erhöht werden. Für 2013 wurden die durchschnittlichen Preissteigerungen bereits auf 6,2% festgelegt. Gewisse Londoner Pendler werden künftig über 6000 Pfund (gegenwärtig rund 7700 Euro) für ihr Jahresabonnement bezahlen müssen. Wenn die Betriebslizenzen aufgrund der Qualität der angebotenen Dienstleistung vergeben würden, dann hätte Virgin wohl gute Chancen gehabt, die West Coast Main Line auch weiterhin zu betreiben. Doch der britische Staat, der weiterhin an die Funktionsfähigkeit künstlicher Märkte zu glauben scheint, ist mittlerweile auf den Anbieter mit der höchsten Geldprämie angewiesen. Sollte sich die Wette schließlich als unrealistisch erweisen, dann wird der Steuerzahlen einspringen.
Viele Grüße vom Vielfahrer, der glücklich darüber ist, dass hierzulande noch keine britischen Verhältnisse herrschen.
In der aktuellen Ausgabe der Neuen Zürcher Zeitung vom 21.08.2012 findet sich ein lesenswerter Beitrag von Martin Alioth aus Dublin zur Situation in England.
Die Erneuerung der Lizenzen für den Betrieb von Eisenbahnen im Vereinigten Königreich hat mit einem Donnerschlag begonnen. Das System scheint Pokerspieler zu begünstigen.
Seit der Unternehmer Richard Branson und seine Virgin-Gruppe vergangene Woche die Franchise zum Betrieb der Eisenbahnlinie zwischen London und Glasgow verloren haben, herrscht dicke Luft. Branson, dessen Firma ab Dezember nicht mehr im britischen Eisenbahngeschäft tätig sein wird, bezeichnete die Lizenzvergabe an First Group, die gröste Eisenbahngesellschaft im Vereinigten Königreich, als "Irrsinn". Der Chef von First Group, der Amerikaner Tiom O'Toole, beschimpfte Branson umgehend als "hysterisch".
Zwei parlamentarische Ausschüsse erwägen derzeit Anhörungen, während Branson selbst noch vor Ende dieses Monats entscheiden muss, ob er Rekurs gegen die Vergabe einlegen will. Da mehrere Franchisen in den nächsten zwei Jahren zur Erneuerung anstehen, wird nun über das System schlechthin debattiert. First Group hatte der Regierung 5,5 Mrd. Pfund über die Laufzeit von 13 Jahren versprochen, wobei der Löwenanteil der Zahlungen erst gegen Ende der Vertragszeit fällig wird. Die Firma versprach überdies mehr Verbindungen und tiefere Billettpreise.
Vollmundige Versprechungen werden indessen nicht immer eingehalten. First Group selbst zog sich vorzeitig aus der Franchise zwischen London und Wales (Great Western) zurück, um Prämien zu sparen. Die Verbindung zwischen London und Edinburgh wird derzeit von einer Betriebsgesellschaft im Staatsbesitz betrieben, nachdem sich 2006 und 2009 nacheinander private Betreiber aus finanziellen Gründen zurückgezogen hatten. Branson beschuldigte deshalb seine Rivalin First Group, direkt auf einen Konkurs zuzusteiern.
Die Privatisierung britischer Eisenbahnen in den neunziger Jahren ging von der Grundidee aus, das Schienennetz vom Betrieb zu trennen. Railtrack, die ursprünglich private Eigentümerin der Infrastruktur, ist jedoch schon längst in die de facto staatliche Firma Network Rail übergeführt worden.
Die Bewerbung um Lizenzen ist ein aufwendiges Geschäft, vergleichbar vielleicht mit den voluminösen Offerten privater Firmen für Public-Private-Partnerships. Berater und Juristen verlangen saftige Honorare. Bransons Firma Virgin soll für ihre letzten vier, allesamt erfolglosen Bewerbungen runde 60 Mio. Pfund ausgegeben haben. Das britische Eisenbahnsystem, fand letztes Jahr ein Expertenbericht, sei rund 40% teurer als die entsprechenden Dienstleistungen in Frankreich, den Niederlanden, Schweden und in der Schweiz. Deshalb zahlen die Briten die höchsten Billettpreise pro Streckenkilometer in Europa. Die Benutzerzahlen sind zwar seit der Privatisierung in die Höhe geschnellt, nicht aber die Qualität des Service. Der Staat trägt seither mit jährlich rund 4 Mrd. Pfund weit mehr zur Finanzierung bei als in den Zeiten der staatlichen British Rail, während die Billetteinnahmen rund 6,6 Mrd. Pfund beisteuern.
Angesichts der laufenden Sparmaßnahmen des britischen Staats sollen die Passagiere schrittweise noch stärker zur Kasse gebeten werden, um den Fiskus zu entlasten. Die Billettpreise dürfen jährlich um 3% mehr als die Inflation erhöht werden. Für 2013 wurden die durchschnittlichen Preissteigerungen bereits auf 6,2% festgelegt. Gewisse Londoner Pendler werden künftig über 6000 Pfund (gegenwärtig rund 7700 Euro) für ihr Jahresabonnement bezahlen müssen. Wenn die Betriebslizenzen aufgrund der Qualität der angebotenen Dienstleistung vergeben würden, dann hätte Virgin wohl gute Chancen gehabt, die West Coast Main Line auch weiterhin zu betreiben. Doch der britische Staat, der weiterhin an die Funktionsfähigkeit künstlicher Märkte zu glauben scheint, ist mittlerweile auf den Anbieter mit der höchsten Geldprämie angewiesen. Sollte sich die Wette schließlich als unrealistisch erweisen, dann wird der Steuerzahlen einspringen.
Viele Grüße vom Vielfahrer, der glücklich darüber ist, dass hierzulande noch keine britischen Verhältnisse herrschen.