Hallo,
der am 1. Mai 2024 eingeführte On-Demand-Verkehr im gesamten Kreisgebiet von Tuttlingen läuft nun schon auf den Tag genau ein halbes Jahr. Gibt es von Nutzern dieses Verkehrsangebots Erfahrungen, ob die Fahrtwünsche einigermaßen erfüllt werden können, ob die Fahrten pünktlich stattfinden, wie stark die Kleinbusse ausgelastet sind, wie die Anschlüsse z.B. in Aldingen oder Immendingen auf die Ringzüge funktionieren und ganz allgemein, ob die On-Demand-Verkehre ein auch hinsichtlich des notwendigen Klimaschutzes (d.h. Ersatz privater Pkw-Nutzung durch gebündelte öffentliche Verkehre) einen Fortschritt darstellen?
In der überregionalen Presse war unlängst zu lesen, dass in vielen Landkreisen oder auch nur Städten On-Demand-Verkehre in jüngerer Zeit eingerichtet wurden, Fachleute diesen Verkehren jedoch keine längerfristige Zukunft zubilligen, da sie nur mit hohen Subventionen betrieben werden könnten.
Wäre interessant da Näheres von den Fahrgästen zu wissen.
Viele Grüße vom Vielfahrer
Neues vom On-Demand-Verkehr in Tuttlingen?
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Re: Neues vom On-Demand-Verkehr in Tuttlingen?
Hallo Vielfahrer,
ich kann da wenig zu beitragen - ein paar Male hatte ich mir eine Fahrt im Voraus gesichert, die aber in allen Fällen wieder abgesagt werden musste, da die Planung sich änderte. Kurzfristig notwendige Fahrten wiederum sind in den meisten Fällen nicht möglich gewesen, da kein Shuttle verfügbar war.
Ein Kollegen, der letztens nach der Verspätung eines Schwarzwaldbahn-RE am Sonntag noch rund 2 Stunden vor Fahrtantritt ein Shuttle Immendingen-Nendingen buchen konnte, berichtete von einer problemlosen Fahrt.
Ich denke mal, dass man nach dem ersten halben Jahr durchaus Erfahrungswerte hat. Gut angenommen wird das System wahrscheinlich schon, nur kann man sich da bei anhaltend fehlenden Kapazitäten natürlich auch die Kunden zurück ins Auto vertreiben. Freunde von mir aus Nendingen haben auch schon berichtet, dass nur selten verfügbare Fahrten angezeigt werden und oft eine Fehlermeldung wegen fehlender Kapazität angezeigt wird.
ich kann da wenig zu beitragen - ein paar Male hatte ich mir eine Fahrt im Voraus gesichert, die aber in allen Fällen wieder abgesagt werden musste, da die Planung sich änderte. Kurzfristig notwendige Fahrten wiederum sind in den meisten Fällen nicht möglich gewesen, da kein Shuttle verfügbar war.
Ein Kollegen, der letztens nach der Verspätung eines Schwarzwaldbahn-RE am Sonntag noch rund 2 Stunden vor Fahrtantritt ein Shuttle Immendingen-Nendingen buchen konnte, berichtete von einer problemlosen Fahrt.
Ich denke mal, dass man nach dem ersten halben Jahr durchaus Erfahrungswerte hat. Gut angenommen wird das System wahrscheinlich schon, nur kann man sich da bei anhaltend fehlenden Kapazitäten natürlich auch die Kunden zurück ins Auto vertreiben. Freunde von mir aus Nendingen haben auch schon berichtet, dass nur selten verfügbare Fahrten angezeigt werden und oft eine Fehlermeldung wegen fehlender Kapazität angezeigt wird.
Aus dem Fridinger wurde der Villinger
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Re: Neues vom On-Demand-Verkehr in Tuttlingen?
Hallo zusammen,
gerne berichte ich von meinen ausgiebigen Erfahrungen zum On-Demand Verkehr im Landkreis Tuttlingen.
Die Kurzfassung: Am besten sofort wieder abschaffen und auf den alten Fahrplan mit einem regulären und vertakteten Busverkehr umstellen!
In der langen Version ist das ganze natürlich etwas komplizierter und muss differenzierter betrachtet werden. Ich habe einige gute Fahrten mit dem On-Demand Verkehr gemacht. Ein Beispiel: Vom Betrieb aus fand abends ein Geschäftsessen mit Kunden in Liptingen statt. Ich wusste bereits lange im Voraus, dass ich dort hin muss, also konnte ich auch entsprechend Wochen im Voraus buchen. Das gut ausgestattete On-Demand Fahrzeug war pünktlich wie gewünscht um 21:00 Uhr in Liptingen und hat mich ca. 50 Minuten später im nördlichsten Zipfel des Landkreises abgesetzt. Reine Fahrzeit mit dem privaten PKW wären ca. 40 Minuten. Besser geht es fast nicht. Theoretisch hätte der On-Demand Verkehr sogar noch schneller sein können, wir mussten aber in Tuttlingen noch etwas auf einen weiteren Fahrgast warten, den wir eine Teilstrecke mitgenommen haben.
Damit wäre aber auch bereits das meiste positive berichtet. Die Realität sieht für mich nämlich in der Regel anders aus. Viele sehen einen normalen Busverkehr ja bereits als wenig flexibel an, im Gegensatz zum neuen On-Demand Verkehr ist dieser allerdings höchst flexibel. Um überhaupt eine Fahrt abzubekommen, muss Tage im Voraus gebucht werden. D.h. entweder ich weiß bereits Mitte der Woche genau, was ich am kommenden Wochenende machen möchte oder ich habe Pech und sitze zu Hause fest. Die letzten Jahre bin ich am Wochenende immer spontan nach Lust, Laune und Wetter zum Wandern auf den Heuberg gefahren. Seit es den On-Demand Verkehr gibt genau Null mal. Hier müsste ich mir ja dann sogar gleich die Rückfahrt mit buchen. Früher habe ich meine Runden so gestaltet, dass Sie zum Takt gepasst haben. Wollte ich länger laufen, habe ich einfach eine Stunde ran gehängt.
Für mich ist der On-Demand Verkehr gescheitert, aber auf dem Amt ist man sicher begeistert und fixiert sich auf die positiven Aspekte. Sicherlich ist es ein Zugewinn, dass nun bis 24:00 Uhr überhaupt ein Angebot unter der Woche besteht, aber die meisten haben davon vermutlich nichts.
Die Gründe für das Scheitern sehe ich unter anderem in folgenden Punkten:
- Katastrophal lange Vorlaufzeiten. Ich meinte in den Beratungsunterlagen wurde mal von angestrebten 30 bis 60 Minuten gesprochen. Davon ist man Meilenweit entfernt, außer jemand hat bereits vorher zufällig eine gleiche oder sehr ähnliche Fahrt zu dieser Zeit gebucht. Dann kann es natürlich sein, dass der Algorithmus auch in 10 Minuten eine Fahrt findet. Passiert meiner Erfahrung nach aber selten bis nie. Ich habe schon von anderen gehört, dass diese sich teilweise vorsorglich Fahrten reservieren und dann wieder bis eine Stunde vor Fahrt absagen. Ich kann verstehen warum man das macht, es spannt die Situation aber natürlich noch weiter an.
- Ein Pooling findet oft gar nicht statt. Die Fahrtwünsche sind einfach sehr individuell. Somit hat das ganze eher Taxi-Charakter als alles andere. Für den Fahrgast der die Fahrt gebucht hat natürlich super, für alle anderen eine Katastrophe. Es gibt auch keine Möglichkeit bereits gebuchte Fahrten von anderen in der App zu sehen, an die man sich ggf. ranghängen könnte. Stattdessen muss man alle möglichen Zeiten und Haltestellen die evtl. in Frage kommen könnten mühsam ausprobieren. Dazu kommt, dass das User Interface diesbezüglich wenig User-freundlich und träge ist.
- Besonders zu erwähnen ist an dieser Stelle auch, dass die Leute sich wenn möglich keinen Umstieg auf den Zug einplanen. D.h. sie fahren dann zum Beispiel direkt von Kolbingen nach Tuttlingen an den ZOB, anstatt in Mühlheim auf Zug umzusteigen. Vor allem in der Rückrichtung ist das auch absolut verständlich. Wie viel Zeit soll man für einen verspäteten Zug einplanen? Ich hatte schon eine halbe Stunde geplant und der Zug hatte dann 35 Minuten. Bei einem normalen Busverkehr hätte ich dann halt zähneknirschend nochmal eine halbe Stunde gewartet und dann ging es weiter heimwärts. Im On-Demand Verkehr kann man dann Freunde oder Familie anbetteln, am Bahnhof abgeholt werden zu können, denn eine neue Fahrt buchen geht ja so spontan nicht mehr! Verschieben von Fahrten, auch um wenige Minuten, oder eine Kontaktaufnahme mit dem Fahrer "ich bin unterwegs, aber etwas später" ist natürlich nicht möglich. Das würde ja auch die weitere Planung des Algorithmus durcheinander bringen. Dieses Thema wiegt für mich gravierend schwer. Auch unter der Woche muss man hier aufpassen, dass man nicht nach 20:00 Uhr ggf. schon die letzte reguläre Fahrt des Tages verpasst, sonst hätte man sich ja was buchen müssen. In der Praxis also lieber bereits um 19:xx Uhr fahren, damit man noch eine Möglichkeit hat. Somit habe ich im Vergleich zu früher sogar nochmal eine Stunde weniger, außer ich plane eben von Anfang an mit dem On-Demand Verkehr.
- Kosten sind ein weiteres Thema. Während Buchungen per App kostenlos sind, wird am Telefon zugeschlagen. Aus dem Festnetz meine ich sind es 5,99 Euro einmalig, aus dem Mobilfunknetz 2,99 Euro pro Minute. Laut Landkreis deckt das nur die Kosten für diesen Service. Gewinn mache man damit nicht. Ich möchte gar nicht wissen, wie viele ältere Leute ohne Smartphone dort schon angerufen haben, nur um dann zu erfahren, das keine Fahrten mehr verfügbar sind.
- Dazu kommt, dass man das System jetzt noch so eingerichtet hat, dass jemand der zum Beispiel am Samstag von Deilingen nach Mühlheim möchte, dies grundsätzlich mit dem On-Demand Verkehr tun kann, geht dann ca. 30 Minuten. Im Nachbarort Wehingen allerdings, wo noch teilweise eine normale Linie (220) verkehrt, ist Mühlheim nur noch über Aldingen/Tuttlingen zu erreichen. Geht dann halt über 1,5 Stunden. Umgehen lässt sich dies damit, dass man zu einer nicht bedienten Haltestelle geht. Wenn ich die 3 km dort hin laufe bin ich immer noch deutlich schneller als über die aufgezwunge Route.
- Das System ist mit seinen sieben Fahrzeugen scheinbar chronisch überlastet. Der Landkreis hat bereits Maßnahmen zur Entspannung unternommen und meinen Augen sind diese allerdings nicht wirklich positiv spürbar. Angeblich wurden nochmal zwei Fahrzeuge nachbestellt, ob diese allerdings bereits im Einsatz sind, weiß ich nicht. Gleichzeit macht man dann aus Einsparungsgründen so Aktionen wie die 220 am Wochenende in Wehingen enden zu lassen. Die letzten paar Kilometer nach Deilingen müsste dann also wieder der On-Demand Verkehr genutzt werden, was heißt, dass regelmäßig ein On-Demand Fahrzeug in diesem Landzipfel benötigt und damit gebunden wird. So ist es allerdings günstig möglich, mit nur einem normalen Bus und zwei Fahrern Wehingen mit Aldingen im Stundentakt am Samstag zu verbinden.
Insgesamt würde mich interessieren, wie viel mit dem On-Demand Verkehr wirklich eingespart wird, denn das ist sicherlich die Hauptmotivation gewesen. Ein besserer Verkehr spielt dabei höchstens eine sehr untergeordnete Rolle. Die ursprüngliche Planung was eingespart werden kann, wurde im Laufe der Zeit immer kleiner. Es wurden mehr und zusätzlich auch mittelgroße On-Demand Fahrzeuge benötigt. Letzte benötigen dann auch wieder "echte" Busfahrer. Ggf. werden jetzt sogar nochmal zwei Fahrzeuge mehr benötigt. Ob es den ganzen Ärger dann noch Wert war? Die ganzen Werbematerialien und Kampagnen mit eingerechnet? Außerdem fallen auch irgendwann in den nächsten Jahren die Subvention vom Land für das neue System weg. Es würde mich nicht wundern, wenn am Schluss das ganze sogar teurer ist, würde aber natürlich nie jemand zugeben.
Auch für die normalen Busfahrer, die teilweise im Ausland angeworben wurden, ist die Situation unschön. Diese wollten hier Geld verdienen, was besonders gut mit Schichten am Wochenende und an Feiertagen ging. Diese Einnahmequelle ist nun versiegt und man hat wohl teilweise Probleme sogar die normalen Stunden für einen ordentlichen Lohn voll zu bekommen.
Fazit von mir: Ich kann gut auf den On-Demand Verkehr verzichten. Ich bin dieses Jahr so viel mit dem (geliehenen) Auto gefahren wie die letzten fünf Jahre zusammen nicht mehr und habe einiges an Flexibilität eingebüßt. Die Monatskarten kosten aber natürlich gleichviel wie bisher, also hat hier für mich sogar eine indirekte Preiserhöhung durch Reduzierung des Angebots stattgefunden. Als Ergänzung zum regulären Fahrplan mit einem Kernliniennetz wäre es eine super Sache, so überwiegen aber die Nachteile meiner Meinung nach. Auch die vielen negativen Bewertung auf verschiedenen Portalen (App Stores, Facebook, Google etc.) sprechen Bände und bleiben von offizieller Seite immer unkommentiert. In persönlichen Gesprächen mit anderen regelmäßigen Nutzern des ÖPNV, sowie mit dem ein oder anderen Fahrpersonal des regulären Verkehrs, festigt sich dieser eher negative Eindruck weiter.
Wie sind denn die ehrlichen Erfahrungen andernorts mit solchen Systemen?
gerne berichte ich von meinen ausgiebigen Erfahrungen zum On-Demand Verkehr im Landkreis Tuttlingen.
Die Kurzfassung: Am besten sofort wieder abschaffen und auf den alten Fahrplan mit einem regulären und vertakteten Busverkehr umstellen!
In der langen Version ist das ganze natürlich etwas komplizierter und muss differenzierter betrachtet werden. Ich habe einige gute Fahrten mit dem On-Demand Verkehr gemacht. Ein Beispiel: Vom Betrieb aus fand abends ein Geschäftsessen mit Kunden in Liptingen statt. Ich wusste bereits lange im Voraus, dass ich dort hin muss, also konnte ich auch entsprechend Wochen im Voraus buchen. Das gut ausgestattete On-Demand Fahrzeug war pünktlich wie gewünscht um 21:00 Uhr in Liptingen und hat mich ca. 50 Minuten später im nördlichsten Zipfel des Landkreises abgesetzt. Reine Fahrzeit mit dem privaten PKW wären ca. 40 Minuten. Besser geht es fast nicht. Theoretisch hätte der On-Demand Verkehr sogar noch schneller sein können, wir mussten aber in Tuttlingen noch etwas auf einen weiteren Fahrgast warten, den wir eine Teilstrecke mitgenommen haben.
Damit wäre aber auch bereits das meiste positive berichtet. Die Realität sieht für mich nämlich in der Regel anders aus. Viele sehen einen normalen Busverkehr ja bereits als wenig flexibel an, im Gegensatz zum neuen On-Demand Verkehr ist dieser allerdings höchst flexibel. Um überhaupt eine Fahrt abzubekommen, muss Tage im Voraus gebucht werden. D.h. entweder ich weiß bereits Mitte der Woche genau, was ich am kommenden Wochenende machen möchte oder ich habe Pech und sitze zu Hause fest. Die letzten Jahre bin ich am Wochenende immer spontan nach Lust, Laune und Wetter zum Wandern auf den Heuberg gefahren. Seit es den On-Demand Verkehr gibt genau Null mal. Hier müsste ich mir ja dann sogar gleich die Rückfahrt mit buchen. Früher habe ich meine Runden so gestaltet, dass Sie zum Takt gepasst haben. Wollte ich länger laufen, habe ich einfach eine Stunde ran gehängt.
Für mich ist der On-Demand Verkehr gescheitert, aber auf dem Amt ist man sicher begeistert und fixiert sich auf die positiven Aspekte. Sicherlich ist es ein Zugewinn, dass nun bis 24:00 Uhr überhaupt ein Angebot unter der Woche besteht, aber die meisten haben davon vermutlich nichts.
Die Gründe für das Scheitern sehe ich unter anderem in folgenden Punkten:
- Katastrophal lange Vorlaufzeiten. Ich meinte in den Beratungsunterlagen wurde mal von angestrebten 30 bis 60 Minuten gesprochen. Davon ist man Meilenweit entfernt, außer jemand hat bereits vorher zufällig eine gleiche oder sehr ähnliche Fahrt zu dieser Zeit gebucht. Dann kann es natürlich sein, dass der Algorithmus auch in 10 Minuten eine Fahrt findet. Passiert meiner Erfahrung nach aber selten bis nie. Ich habe schon von anderen gehört, dass diese sich teilweise vorsorglich Fahrten reservieren und dann wieder bis eine Stunde vor Fahrt absagen. Ich kann verstehen warum man das macht, es spannt die Situation aber natürlich noch weiter an.
- Ein Pooling findet oft gar nicht statt. Die Fahrtwünsche sind einfach sehr individuell. Somit hat das ganze eher Taxi-Charakter als alles andere. Für den Fahrgast der die Fahrt gebucht hat natürlich super, für alle anderen eine Katastrophe. Es gibt auch keine Möglichkeit bereits gebuchte Fahrten von anderen in der App zu sehen, an die man sich ggf. ranghängen könnte. Stattdessen muss man alle möglichen Zeiten und Haltestellen die evtl. in Frage kommen könnten mühsam ausprobieren. Dazu kommt, dass das User Interface diesbezüglich wenig User-freundlich und träge ist.
- Besonders zu erwähnen ist an dieser Stelle auch, dass die Leute sich wenn möglich keinen Umstieg auf den Zug einplanen. D.h. sie fahren dann zum Beispiel direkt von Kolbingen nach Tuttlingen an den ZOB, anstatt in Mühlheim auf Zug umzusteigen. Vor allem in der Rückrichtung ist das auch absolut verständlich. Wie viel Zeit soll man für einen verspäteten Zug einplanen? Ich hatte schon eine halbe Stunde geplant und der Zug hatte dann 35 Minuten. Bei einem normalen Busverkehr hätte ich dann halt zähneknirschend nochmal eine halbe Stunde gewartet und dann ging es weiter heimwärts. Im On-Demand Verkehr kann man dann Freunde oder Familie anbetteln, am Bahnhof abgeholt werden zu können, denn eine neue Fahrt buchen geht ja so spontan nicht mehr! Verschieben von Fahrten, auch um wenige Minuten, oder eine Kontaktaufnahme mit dem Fahrer "ich bin unterwegs, aber etwas später" ist natürlich nicht möglich. Das würde ja auch die weitere Planung des Algorithmus durcheinander bringen. Dieses Thema wiegt für mich gravierend schwer. Auch unter der Woche muss man hier aufpassen, dass man nicht nach 20:00 Uhr ggf. schon die letzte reguläre Fahrt des Tages verpasst, sonst hätte man sich ja was buchen müssen. In der Praxis also lieber bereits um 19:xx Uhr fahren, damit man noch eine Möglichkeit hat. Somit habe ich im Vergleich zu früher sogar nochmal eine Stunde weniger, außer ich plane eben von Anfang an mit dem On-Demand Verkehr.
- Kosten sind ein weiteres Thema. Während Buchungen per App kostenlos sind, wird am Telefon zugeschlagen. Aus dem Festnetz meine ich sind es 5,99 Euro einmalig, aus dem Mobilfunknetz 2,99 Euro pro Minute. Laut Landkreis deckt das nur die Kosten für diesen Service. Gewinn mache man damit nicht. Ich möchte gar nicht wissen, wie viele ältere Leute ohne Smartphone dort schon angerufen haben, nur um dann zu erfahren, das keine Fahrten mehr verfügbar sind.
- Dazu kommt, dass man das System jetzt noch so eingerichtet hat, dass jemand der zum Beispiel am Samstag von Deilingen nach Mühlheim möchte, dies grundsätzlich mit dem On-Demand Verkehr tun kann, geht dann ca. 30 Minuten. Im Nachbarort Wehingen allerdings, wo noch teilweise eine normale Linie (220) verkehrt, ist Mühlheim nur noch über Aldingen/Tuttlingen zu erreichen. Geht dann halt über 1,5 Stunden. Umgehen lässt sich dies damit, dass man zu einer nicht bedienten Haltestelle geht. Wenn ich die 3 km dort hin laufe bin ich immer noch deutlich schneller als über die aufgezwunge Route.
- Das System ist mit seinen sieben Fahrzeugen scheinbar chronisch überlastet. Der Landkreis hat bereits Maßnahmen zur Entspannung unternommen und meinen Augen sind diese allerdings nicht wirklich positiv spürbar. Angeblich wurden nochmal zwei Fahrzeuge nachbestellt, ob diese allerdings bereits im Einsatz sind, weiß ich nicht. Gleichzeit macht man dann aus Einsparungsgründen so Aktionen wie die 220 am Wochenende in Wehingen enden zu lassen. Die letzten paar Kilometer nach Deilingen müsste dann also wieder der On-Demand Verkehr genutzt werden, was heißt, dass regelmäßig ein On-Demand Fahrzeug in diesem Landzipfel benötigt und damit gebunden wird. So ist es allerdings günstig möglich, mit nur einem normalen Bus und zwei Fahrern Wehingen mit Aldingen im Stundentakt am Samstag zu verbinden.
Insgesamt würde mich interessieren, wie viel mit dem On-Demand Verkehr wirklich eingespart wird, denn das ist sicherlich die Hauptmotivation gewesen. Ein besserer Verkehr spielt dabei höchstens eine sehr untergeordnete Rolle. Die ursprüngliche Planung was eingespart werden kann, wurde im Laufe der Zeit immer kleiner. Es wurden mehr und zusätzlich auch mittelgroße On-Demand Fahrzeuge benötigt. Letzte benötigen dann auch wieder "echte" Busfahrer. Ggf. werden jetzt sogar nochmal zwei Fahrzeuge mehr benötigt. Ob es den ganzen Ärger dann noch Wert war? Die ganzen Werbematerialien und Kampagnen mit eingerechnet? Außerdem fallen auch irgendwann in den nächsten Jahren die Subvention vom Land für das neue System weg. Es würde mich nicht wundern, wenn am Schluss das ganze sogar teurer ist, würde aber natürlich nie jemand zugeben.
Auch für die normalen Busfahrer, die teilweise im Ausland angeworben wurden, ist die Situation unschön. Diese wollten hier Geld verdienen, was besonders gut mit Schichten am Wochenende und an Feiertagen ging. Diese Einnahmequelle ist nun versiegt und man hat wohl teilweise Probleme sogar die normalen Stunden für einen ordentlichen Lohn voll zu bekommen.
Fazit von mir: Ich kann gut auf den On-Demand Verkehr verzichten. Ich bin dieses Jahr so viel mit dem (geliehenen) Auto gefahren wie die letzten fünf Jahre zusammen nicht mehr und habe einiges an Flexibilität eingebüßt. Die Monatskarten kosten aber natürlich gleichviel wie bisher, also hat hier für mich sogar eine indirekte Preiserhöhung durch Reduzierung des Angebots stattgefunden. Als Ergänzung zum regulären Fahrplan mit einem Kernliniennetz wäre es eine super Sache, so überwiegen aber die Nachteile meiner Meinung nach. Auch die vielen negativen Bewertung auf verschiedenen Portalen (App Stores, Facebook, Google etc.) sprechen Bände und bleiben von offizieller Seite immer unkommentiert. In persönlichen Gesprächen mit anderen regelmäßigen Nutzern des ÖPNV, sowie mit dem ein oder anderen Fahrpersonal des regulären Verkehrs, festigt sich dieser eher negative Eindruck weiter.
Wie sind denn die ehrlichen Erfahrungen andernorts mit solchen Systemen?
Viele Grüße
Sam7C7
Sam7C7
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- Beiträge: 4829
- Registriert: So 1. Aug 2010, 13:32
- Wohnort: Tübingen Weststadt
Re: Neues vom On-Demand-Verkehr in Tuttlingen?
Hallo,
vom Zukunftsnetzwerk ÖPNV habe ich gerade eine interessante Broschüre zu On-Demand-Verkehren in Baden-Württemberg erhalten, deren Link ich hiermit gerne weiterleite.
Viele Grüße vom Vielfahrer
vom Zukunftsnetzwerk ÖPNV habe ich gerade eine interessante Broschüre zu On-Demand-Verkehren in Baden-Württemberg erhalten, deren Link ich hiermit gerne weiterleite.
Viele Grüße vom Vielfahrer