Landkreis Tübingen will Öffentlichen Verkehr als Alternative zum Individualverkehr deutlich ausbauen

Sonstiges, worüber man sich das "Maul" zerreisen kann.
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Vielfahrer
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Landkreis Tübingen will Öffentlichen Verkehr als Alternative zum Individualverkehr deutlich ausbauen

Beitrag von Vielfahrer »

Hallo,

Im Landkreis Tübingen gab es laut Bericht des Schwäbischen Tagblatts eine sehr interessante Sitzung des Verkehrsausschusses, der sich mit der grundsätzlichen zukünftigen Ausrichtung des ÖV-Angebots befasst hat. Die Tübinger scheinen da sehr viel weiter als der Rest des Landes zu sein, obwohl sie auch keine Gelddruckmaschine besitzen, aber den Stellenwert des Öffentlichen Nahverkehrs schon immer anders eingeschätzt haben als dies in vielen Teilen des Landes der Fall ist. Mit der sich an den Empfehlungen der Zukunftskommission ÖV 2030 orientierenden Grundausrichtung beschreitet der Landkreis Tübingen neue Wege. Es wird spannend werden, in welchem zeitlichen Abstand auch andere Aufgabenträger im Land ähnliche Debatten führen werden. Der Tübinger Landrat Joachim Walter ist zugleich Präsident des baden-württembergischen Landkreistags und Gerd Hickmann nicht nur Kreistagsmitglied der Grünen in Tübingen sondern beruflich im Verkehrsministerium in Stuttgart als Abteilungsleiter für den Öffentlichen Verkehr (Schiene, ÖPNV, Luftverkehr, Güterverkehr) tätig. Er hat mit seinen Mitarbeitern auch die Zukunftskommission ÖV 2030 geleitet.

Mehr Busse, dichtere Takte
ÖPNV Im Verkehrsausschuss des Kreistages wurde über verschiedene Ausbauszenarien für den regionalen Nahverkehr und über Haltestellen kontrovers diskutiert. Von Volker Rekittke (Schwäbisches Tagblatt Tübingen)

Mehr Busse und dichtere Takte, dazu Ausbau und Modernisierung der rund 600 Haltestellen im Kreis sowie die Regionalstadtbahn: Das ist im Kern die „ÖPNV-Offensive“ im Kreis Tübingen. Die Projektgruppe „ÖPNV und Mobilität“ des Kreistags hat drei Ausbau-Szenarien für den Öffentlichen Nahverkehr in der Region entwickelt, die sich allesamt an Überlegungen der ÖPNV-Zukunftskommission des Landes orientieren. Demnach soll im Südwesten künftig in der Fläche grundsätzlich ein Halbstundentakt und in Verdichtungsräumen ein 15-Minuten-Takt angeboten werden.

Der Kreis-Nahverkehrsplan von 2012, der nun in Teilen fortgeschrieben werden soll, setzt Standards für Ausschreibungen und Vergaben an private Busunternehmen in den kommenden Jahren. Herzstück des Verkehrsplans, über den der Verkehrsausschuss des Kreistags am Mittwoch kontrovers diskutierte, ist das ÖPNV-Angebot im Kreis Tübingen.

Bislang fahren Busse und Anruf-Sammeltaxen im gesamten Kreisgebiet im Stundentakt („Grundnetz“). Im „Verdichtungsraum“ – auf vielgenutzten Strecken zwischen Städten und Gemeinden – wird wochentags bei 20 Uhr mindestens ein Halbstundentakt angeboten, später am Abend sowie am Wochenende ein Stundentakt. Hinzu kommen im Schüler- und Berufsverkehr extra Busse bei Bedarf („Taktverdichtung“). Im von der Kreisverwaltung bevorzugten Szenario I wird morgens zwischen 6 und 9 Uhr sowie zwischen 12 und 19 Uhr ein Halbstundentakt im gesamten Kreisgebiet vorgeschlagen. Im Verdichtungsraum soll während dieser Zeitspanne sogar alle 15 Minuten ein Bus fahren, ansonsten wochentags zwischen 5 und 21 Uhr sowie samstags zwischen 6 und 16 Uhr alle 30 Minuten. Hinzu kämen bei Bedarf noch deutlich mehr Extrabusse als bisher.
Eine gewisse Flexibilität macht aus Verwaltungssicht auch deshalb Sinn, weil etwa morgens vor Schulbeginn deutlich vollere und auch mehr Busse von den Härten in Richtung Tübingen fahren als in der Gegenrichtung. Kosten würde das Ausbauszenario I zwischen 2,36 und 4,3 Millionen Euro jährlich – je nach Einsatz der Verstärkerbusse und -taxen. Noch stärker verdichtet würden die Takte in den Ausbauszenarien 2 (zusätzliche Kosten: 4,72 Millionen Euro jährlich) und 3 (plus 6,68 Millionen).

„Wir haben bereits schon einen guten ÖPNV-Standard“, erklärte die Erste Landesbeamtin Daniela Hüttig. Selbst bei der günstigsten Variante wäre eine Steigerung von derzeit 3,2 Millionen auf 5,5 Millionen Euro im Jahr fällig, so die Leiterin des Geschäftsbereichs „Verkehr, Landwirtschaft, Ordnung und Vermessung“. „Das sind enorme Zahlen.“

Wenn die Regionalstadtbahn komme, brauche es bessere Anschlüsse in der Fläche, gab Gerd Hickmann (Grüne) zu bedenken: „Erst ab einem 30-Minuten-Takt wird es für Autofahrer interessant, auf Bus und Bahn umzusteigen“, so der Verkehrsplaner: „Der 15-Minuten-Takt nach Pfrondorf läuft sehr gut – und Kusterdingen ist von Tübingen ähnlich weit entfernt“. Hickmann plädierte deshalb für Variante 3 – wie auch Gisela Kehrer-Bleicher (Linke). „Wir brauchen einen verlässlichen Takt auch in der Fläche“. Andreas Weber (SPD) war für einen durchgehenden 30-Minuten-Takt, mindestens „Unser Ziel sollte eine wirkliche Alternative zum Individualverkehr sein – und das geht nicht, wenn der Bus nur einmal die Stunde fährt.“
Dietmar Schöning (FDP) plädierte für eine „Basisvariante“ (Szenario I), die bei wachsendem Bedarf aufgestockt werden kann – auch angesichts der ungewissen wirtschaftlichen Entwicklung nach Corona. Dem schloss sich Andreas Braun (CDU) an: „Die Wünsche jetzt nicht zu hoch schrauben“.
„Wir müssen die Fahrgastzahlen verdoppeln. Wenn wir es nicht schaffen, den ÖPNV massiv auszubauen, werden wir Milliarden allein in Küsten- und Hochwasserschutz stecken müssen“, war der Appell von Markus Vogt (Die Partei). „Wir werden beim Klimaschutz an vielen Schrauben drehen müssen, entgegnete Landrat Joachim Walter – und alles werde viel Geld kosten. Beschossen wurde im Ausschuss noch nichts. Im Kreistag wird weiter diskutiert.
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