Mobility-Pricing soll zur Verkehrsverlagerung beitragen

Sonstiges, worüber man sich das "Maul" zerreisen kann.
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Vielfahrer
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Mobility-Pricing soll zur Verkehrsverlagerung beitragen

Beitrag von Vielfahrer »

Die Mobilität ist inzwischen wieder so hoch wie vor der Corona-Pandemie. In einem Interview mit Professor Alexander Eisenkopf von der Zeppelin-Universität Friedrichshafen ist die Neue Zürcher Zeitung der Frage nachgegangen, ob Mobility-Pricing zur Entlastung beitragen und zugleich den öffentlichen Verkehr stärken könnte.

Der öffentliche und der private Verkehr werden laut Bundesamt für Raumentwicklung weiter zunehmen. Das bedeutet: Busse und Bahnen werden noch voller und die Staus auf den Straßen noch länger – wenn nichts dagegen getan wird. Deshalb plant der Bundesrat, Mobility-Pricing zu ermöglichen. So soll der Verkehr mit Preisdifferenzierungen in den Haupt- und Randzeiten monetär gelenkt werden. Ziel ist es, die Verkehrsspitzen zu glätten. Welche Erfahrungen andere Länder damit gemacht haben und ob die Idee sozial gerecht ist, darüber hat die NZZ mit Alexander Eisenkopf, Professor an der Zeppelin-Universität Friedrichshafen, gesprochen.

NZZ: In der Schweiz fahren die Menschen viel öfter mit dem eigenen Fahrzeug als mit öffentlichen Verkehrsmitteln. Weshalb?

Der Anteil des öffentlichen Verkehrs am Personenverkehr liegt in der Schweiz bei etwa 20 Prozent und damit etwa auf gleicher Höhe wie in vielen europäischen Ländern. Hier wie dort ist der Grund die Tendenz des fortschreitenden Wohlstands, der es erlaubt, eigene Verkehrsmittel zu nutze. So hat sich das Auto über Jahrzehnte bei der Verkehrsmittelwahl durchgesetzt, da es ermöglicht, unabhängig und frei von A nach B zu kommen.

NZZ: Der Schweizer Bundesrat will die Vorherrschaft des Autos brechen, um das steigende Verkehrsaufkommen zu lenken.

Laut den Verkehrsperspektiven des Bundes soll der öffentliche Verkehr so bis 2040 um etwa 50 Prozent ansteigen, der Individualverkehr dagegen nur um 18 Prozent. Dahinter steckt die Idee, zu den Kollektiven Verkehrsmitteln zurückzukehren. Also Busse und Bahn stärker zu nutzen als das eigene Auto mit dem Ziel, die Umwelt vor schädlichen Emissionen zu schützen, den Ressourcenverbrauch einzudämmen und Staus zu vermeiden.

NZZ: Ab welchen Kosten steigen Autofahrer auf öffentliche Verkehrsmittel um?

Die Bepreisung des Verkehrs in anderen Ländern Europas können eine Orientierung liefern. In London gibt es schon lange eine City-Maut, die pro Tag umgerechnet 22 Franken kostet. Für Deutschland hat eine Studie des Ifo-Instituts ergeben, dass eine Tagesgebühr von 7 Franken für die Einfahrt in Münchens mittleren Ring zu einer Verkehrsreduktion von 23 Prozent führt. Für solche Modelle gibt es ökonomische Faustregeln, die besagen, dass eine Maut von 5 Franken für die Einfahrt in ein Stadtgebiet wie Zürich zu einer Reduktion des Individualverkehrs um 5 Prozent führen sollte. Diese Fahrten werden dann zu großen Teilen in Bussen und Bahnen unternommen.

NZZ: Wie schwach oder stark wirkt die City-Maut in London?

Anfangs hat sie sehr gut funktioniert, denn in den ersten Monaten ist der Verkehr um rund ein Fünftel zurück gegangen. Aber ein solches System nutzt sich ab, wenn es nicht finanziell angepasst wird. London ist 2003 mit umgerechnet 6 Franken 40 gestartet, heute ist der Preis dreimal so hoch.

NZZ: Sie haben 5 Franken als Faustregel genannt, um den Verkehr um 5 Prozent zu reduzieren. Der geringe Preis dürfte aber nur wenige Autofahrer von ihrem Fahrzeug abhalten.

Er dient dazu, die Spitze der Verkehrsbelastung zu brechen. Das höchste Verkehrsaufkommen ist morgens, wenn anscheinend alle gleichzeitig zur Arbeit fahren, und abends, wenn alle wieder heimpendeln. In Stockholm wurde dieses Phänomen mit einer dynamischen Bepreisung der City- Maut berücksichtigt. Die Einfahrt in bestimmte Regionen ist dann am teuersten, wenn die Verkehrsbelastung am höchsten ist, und sie wird günstiger in Zeiten mit weniger Verkehrsaufkommen. In Stockholm ist das Verkehrsaufkommen nach der Einführung der Maut ebenfalls um ein Fünftel zurückgegangen.

NZZ: Ähnliches hat der Bundesrat vor: Er will mit einer Preisdifferenzierung zwischen Haupt- und Randzeiten hin zu einem flüssigen Verkehr kommen und bewirken, dass die Menschen in den Stoßzeiten auf öffentliche Verkehrsmittel umsteigen.

Es ist durchaus realistisch, dass diese Idee funktioniert. Denn nur in wenigen Städten gibt es einen permanenten Stau, in den allermeisten vor allem zu den genannten Zeiten. In Singapur soll in Zukunft neben den Zeiten und der Region auch die gefahrene Strecke bei der Bepreisung mit einbezogen werden. Damit würde die
Maut vollkommen nutzungsabhängig berechnet. Diese Lösung ist das weltweit fortschrittlichste und wirkungsvollste System. Für viele Städte in der Schweiz und auch in Europa scheint es allerdings organisatorisch überdimensioniert. Aber unterschiedliche Preise zu verschiedenen Tageszeiten sind technisch und organisatorisch relativ einfach umsetzbar.

NZZ: Eine Verteuerung des Individualverkehrs senkt also schon das Verkehrsaufkommen. Können Korrekturen beim öffentlichen Verkehr diesen Effekt womöglich verstärken?

Entscheidend ist, dass mit dem Geld, das beim Individualverkehr eingenommen wird, die Infrastruktur für den öffentlichen Verkehr ausgebaut und die Takte der Fahrten verdichtet werden. Den öffentlichen Verkehr unentgeltlich anzubieten, halte ich für falsch, weil er Ressourcen verbraucht und Umsonst-Angebote eine Vollkaskomentalität in der Bevölkerung schüren. Deshalb sollte für öffentliche Mobilität auch bezahlt werden.

NZZ: Ist es gerecht, dass jeder Autofahrer in den Stoßzeiten bezahlten muss, egal ob er wenig Geld oder viel Geld hat?

Ich will diese Frage mit einem Beispiel beantworten. Nehmen wir an, es fahren ein wenig Wohlhabender und ein sehr Wohlhabender mit ihrem Auto ins Zentrum von Zürich, um einen Kaffee zu trinken. Dann zahlen beide für den Kaffee das Gleiche. Genauso sehe ich keine Notwendigkeit, weniger Wohlhabende bei einer City-Maut zu entlasten. Es geht beim Mobility-Pricing nämlich um die optimale Nutzung von knappen Kapazitäten und nicht um die Verteilungsgerechtigkeit. Das muss an anderer Stelle gelöst werden.

Viele Grüße vom Vielfahrer
Karl Müller
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Re: Mobility-Pricing soll zur Verkehrsverlagerung beitragen

Beitrag von Karl Müller »

Hallo,
eine City-Maut kann ich mir zur Zeit nicht vorstellen, allein die Logistik würde alle Beteiligten überfordern. Und, ja, gerne mehr Öffis, aber, es gilt dasselbe wie sonst auch - bitte mehr Zuverlässigkeit und auch mehr Komfort. Warum zum Beispiel fahren alle Züge in der Nacht so Megagrell erleuchtet herum, kann oder will das kein Betreiber ändern?
Gruß Oli
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KBS720
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Re: Mobility-Pricing soll zur Verkehrsverlagerung beitragen

Beitrag von KBS720 »

Hallo,

mir fehlt bei dieser ganzen Diskussion einfach mal der Unterschied zwischen Ballungsräumen und dem Land, am Ende leidet das Land noch wegen den Ballungsräumen. Zumindest wenn man generell alles erhöht, da ist eine Citymaut durchaus legitim, aber dann muss es im ÖPNV halt auch laufen.
Karl Müller hat geschrieben: Fr 22. Okt 2021, 04:11 Und, ja, gerne mehr Öffis, aber, es gilt dasselbe wie sonst auch - bitte mehr Zuverlässigkeit und auch mehr Komfort. Warum zum Beispiel fahren alle Züge in der Nacht so Megagrell erleuchtet herum, kann oder will das kein Betreiber ändern?
Genau das ist auch einer der Gründe, weshalb einige nicht den ÖPNV nutzen. Fast alle Neubaufahrzeugen haben Sitze die zum davon laufen sind, da ist selbst jeder Dacia bequemer. Das es anders geht zeigt der Süwex zum Beispiel, dort sind sehr bequeme Sitze verbaut. Beim Thema Licht ist es ebenso, dass ging bei OP Dostos los und setzt sich heute überall fort. Glücklich der, welcher nachts einen 401 oder Abteilwagen entern kann, wo man das Licht aus machen kann. Aber auch im Nahverkehr könnte man durchaus zeitweise mit halben Licht fahren.

Grüße Andreas
*schaffner* Das Bahnkutscher Wiki last update Juni 2014
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Stinkt und macht en hufe Krach, 218 des isch halt ä Sach
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