Faktencheck am 25.11.22 in Stuttgart

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Vielfahrer
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Faktencheck am 25.11.22 in Stuttgart

Beitrag von Vielfahrer »

Hallo,

in den Räumen der Sparkasse fand heute der vom Interessenverband Gäu-Neckar-Bodenseebahn und dem Verkehrsministerium in Stuttgart initiierte Faktencheck zur Interimsphase (Eröffnung von S 21 bis Fertigstellung der Anbindung der Gäubahn über den Pfaffensteigtunnel an S 21) statt.
Die Veranstaltung war in ein Vortragsteil am Morgen sowie einen Diskussionsteil am Nachmittag unterteilt und im Anschluss wurde noch die Baustelle von S 21 besichtigt.

Der Vorsitzende der Interessengemeinschaft GNBB, Guido Wolf, eröffnete den Faktencheck und steckte dabei den Rahmen ab, der von dieser Veranstaltung zu erwarten war. Es ginge, so Wolf, nicht um Festlegungen oder Beschlüsse, sondern darum, dass alle Anwesenden von Fachleuten über den aktuellen Stand bestens informiert würden. Das Thema sei sehr komplex und fachlicher Input wäre da notwendig, um zu einem späteren Zeitpunkt ggf. richtig zu handeln.

An der Veranstaltung konnten nur eingeladene Gäste teilnehmen. Ich schätze grob, dass es so ca. 50 bis 60 Personen waren. Es waren die Oberbürgermeister von Stuttgart, Böblingen, Horb, Singen anwesend, weitere Bürgermeister entlang der Gäubahn, Vertreter von Regionalverbänden aus Villingen-Schwenningen und Waldshut, natürlich auch die Region Stuttgart, Abgeordnete des Landtags und last but noch least auch Spezialisten der Deutschen Bahn.

Den Auftakt der Informationsveranstaltung machte Florian Bitzer von der DB. Er betreut dort als Ingenieur das Projekt S 21 seit vielen Jahren. Neben vielen für Interessierte bereits bekannten Informationen ging er auch auf die Überlegungen ein, die Gäubahn weiterhin in einem verkleinerten oberirdischen Kopfbahnhof enden zu lassen. Dazu zeigt er auf Folien, welche Gleise dafür in Frage kommen könnten (Gleis 4 bis 12, wenn ich es richtig in Erinnerung habe). Andere Gleise lassen sich nicht von der Gäubahn aus anfahren. Den Rest könnte man abbauen. Er erläuterte, dass die in Frage kommenden Gleise aber viele Weichen enthielten und dass man das bisherige Stellwerk in Stuttgart Hbf nicht länger betreiben könne. Gleich, ob man nur 1 Gleis oder 2 oder 4 Gleise liegen lasse, müsse man neben dem Abbau der nicht mehr benötigten Gleise für die liegenbleibenden ein neues Stellwerk errichten, was beachtliche Kosten verursachen würde. Sodann ging er auf die Oberleitungen ein. Er argumentierte, dass es nicht zulässig sei, Oberleitungsanlagen über nicht mehr in Betrieb befindlichen Gleisanlagen vorzuhalten und erläuterte, was da alles zu tun ist. Sein Schluss dabei war, dass alle Oberleitungsanlagen abzubauen sind und für die liegenbleibenden Gleise neue Masten aufzustellen sind. Und die Reisenden wollten ja nicht im Regen stehen, d.h. es müssten auch Bahnsteigüberdachungen gebaut werden. Die bestehenden Bahnsteigüberdachungen liegen in der Regel auf Rollen, damit sich das Stahldach an die Temperaturentwicklung anpassen kann. Nur auf Höhe des Gleises 16 wäre das Dach fest, ansonsten beweglich. Es müsse komplett abgebrochen werden und ein neues Dach an den ggf. verbleibenden Bahnsteigen erstellt werden. Nach seinen Worten wären die Investitionen für den Interimszeitraum ganz erheblich.
Er erläuterte auch, dass die Brücken, über die die Gäubahn in den Hbf einfährt, inzwischen an die 100 Jahre alt wären. Die Brückenunterhaltungsingenieure der DB hätten festgestellt, dass diese Brücken erhebliche Schäden aufweisen würden und nur über verkürzte Untersuchungsfristen weiterhin befahrenbar gehalten würden. Wenn größere Schäden festgestellt würden, könne es sein, dass die Brückenbauingenieure ihre Unterschrift verweigern und die Strecke umgehend eine neue Brücke erhalten müsse, was aber einige Jahre dauert. Kurz zusammengefasst sagte er, dass der sog. Gäubahnbogen aus Sicht der DB nicht Gegenstand weiterer Überlegungen während der Interimsphase sei.

Stuttgarts Baubürgermeister Peter Pätzold (Grüne) legte den Schwerpunkt seiner Ausführungen auf die städtebaulichen Aspekte. Die freiwerdenden Bahnflächen sind vom Rosensteinpark und Schlossgarten umgeben. Die dort geplante Aufsiedlung kann verkehrstechnisch nur aus der Richtung Wagenhallen/Prag angebunden werden, denn es sei undenkbar, durch den Rosensteinpark oder Schlossgarten Erschließungsstraßen zu legen. Dazu zeigte er Fotos, auf denen die Höhe des Gäubahnbogens erkennbar war. Dieser solle unterbrochen werden, um ebenerdige Zugänge in das neue Stadtviertel zu schaffen. Über die geplante Bebauung habe es internationale Wettbewerbe gegeben, außerdem Workshops mit Stuttgarter Bürgerinnen und Bürgern. Von der ersten Idee ziehe es sich jetzt schon 25 Jahre hin. Wenn S 21 in 3 Jahren eröffnet wird, dann könne man beginnen, die Gleisanlagen abzuräumen und Leitungen/Infrastruktur zu legen, was eine Grundvoraussetzung für eine folgende Bebauung sei. Wenn es gut liefe, dann könnten ab 2030 Flächen bebaut werden. Überlegungen, einige Gleise der Gäubahn noch liegen zu lassen, würden zu erheblichen weiteren Zeitverzögerungen führen. Er bezifferte die Verzögerungen mit grob 10 weiteren Jahren. Schon heute gäbe es in Stuttgart Kinder und Jugendliche, für die sei es völlig normal, dass es überall Baustellen und blaue Rohre geben würde. Die kennen Stuttgart ja gar nicht anders. Die Stadt aber wolle die Planungen zu einem zeitnahen Abschluss bringen, weshalb sie keine weiteren Gäubahngleise zu einem oberirdischen Kopfbahnhof liegen lassen wolle.

Auch OB Frank Nopper betonte, dass die Stadt Stuttgart in der Vergangenheit schon viele Jahre viel auf sich genommen habe und der Vorwurf falsch sei, sie denke nur an ihre Immobilien. Die Stadt Stuttgart habe der DB vor bald 20 Jahren die Flächen abgekauft, aber bislang die ganze Zeit über noch keinen Nutzen erhalten.

Detailliert auf verschiedene Bedienungsvarianten ging der für den Betrieb zuständige DB-Planer Rüdiger Weiss ein.

Die Variante V0 (Weiterbetrieb eines Kopfbahnhofs der Gäubahn) ist aus Sicht der DB nicht machbar.

Die Variante V 1 (Umstieg in Stg.-Vaihingen oder Stg.-Nord) von der Gäubahn auf die S-Bahn sei betrieblich machbar, führt jedoch während der Interimsphase bei den schnellen IC zu 8 min Reisezeitverlängerung, bei den langsamen etwas geringer. Bei den schnellen wird die ICE nach Mannheim noch erreicht, bei den langsamen jedoch nicht. Hier beträgt die Reisezeitverlängerung dann deutlich mehr. Erreicht wird aber die ICE-Linie nach Hamburg.

Die Variante V 2 (Führung der Gäubahn über Renningen - Zuffenhausen in den Tiefbahnhof ist theoretisch machbar, führt aber dazu, dass zahlreiche S-Bahnen ausfallen müssen. Aus Sicht der DB wird der Betrieb nicht stabil möglich sein.

Die Variante V 3 (Führung der Gäubahn ab Horb über Tübingen - Wendlinger Kurve nach Stuttgart Tiefbahnhof) ist machbar, aber nicht zu empfehlen, weil sich eine recht hohe Reisezeitverlängerung ergibt. Außerdem müsste die Strecke Tübingen - Horb zunächst elektrifiziert werden und verschiedene Doppelspuren zwischen Tübingen und Horb gebaut werden. Bis das so weit ist, wäre vermutlich auch der Pfaffensteigtunnel fertig, so dass diese Lösung aus DB-Sicht nicht zu empfehlen ist.

Die Variante V 4 (Führung von Gäubahnzügen ab Stg.-Vaihingen auf der S-Bahn-Stammstrecke bis Stuttgart 21) ist nicht zu empfehlen. Es passt von den Bahnsteighöhen, dem Profil und der Fahrdrahthöhe von 4,85 m nicht für Fern- und Regionalverkehrszüge. Pro Zug müssten 3 S-Bahnen entfallen.

Die Variante V 5 (S-Bahnen nicht in Herrenberg enden lassen, sondern bis Horb oder gar Rottweil oder Singen weiterfahren lassen) ist betrieblich machbar. Allerdings werden die Fahrzeiten unattraktiv, je weiter in den Süden gedacht wird. Auch müsse man im Interesse eines stabilen Betriebs der S-Bahn zusätzliche Pufferzeiten entlang der Gäubahn einbauen. Die S-Bahnen hätten 96er-Bahnsteige. Deshalb müsse eine Reihe von Bahnhöfen umgebaut werden, damit dort gehalten werden könne.
Für eine Verlängerung der S-Bahn bis Horb würde man 3 S-Bahn-Züge zusätzlich benötigen, für eine Verlängerung der S-Bahn bis Rottweil wären es 12 Züge.

In der Diskussion am Nachmittag zeigte sich, dass die Variante 1 (Ende in Stg.-Vaihingen bzw. Stg.-Nord mit Umstieg auf die S-Bahn) in Kombination mit der Variante 5 (S-Bahn fährt weiter in den Süden) etliche Sympathien hatte.

Die DB wird diese Varianten-Kombination nochmals näher unter die Lupe nehmen und bei einem ggf. anstehenden zweiten Termin nochmals bewerten.

Viele Grüße vom Vielfahrer
Karl Müller
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Re: Faktencheck am 25.11.22 in Stuttgart

Beitrag von Karl Müller »

Guten Morgen,
Danke für die sehr kurze Zusammenfassung eines doch sehr komplexen Thema.
Gruß Oli
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