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Video-Konferenz des Verkehrsministeriums

Verfasst: Mo 29. Jun 2020, 21:41
von Vielfahrer
Hallo zusammen,

heute war von 17 - 19 Uhr eine Video-Konferenz des Verkehrsministeriums unter Leitung/Moderation von Verkehrsminister Winfried Hermann. Er führte durch die Tagesordnung und erläuterte zunächst für alle Beteiligten (ca. 90 Teilnehmer waren es wohl, darunter auch ca. 10 Vertreter von Medien) leicht verständlich die doch komplizierten Zusammmenhänge. Vorneweg: Keine Rolle spielte der Deutschlandtakt, denn die Planungen zu dieser Video-Konfernz liegen eigentlich schon mehrere Monate zurück und wurden durch Corona nochmals zeitlich nach hinten geschoben. Trotzdem wurde der aktuellste Stand präsentiert, wozu Minister Hermann zahlreiche Fachleute eingeladen hatte, u.a. auch den früheren Ringzug-Betriebsleiter Frank von Meissner, der in seiner heutigen Funktion bei der Stuttgarter Straßenbahn insbesondere zu den Planungen am Nordhalt, aber auch zu Kapazitätsbetrachtungen bei verschiedenen U-Bahn-Linien Auskunft gab.

Sehr sachgerecht und ohne dass auch nur irgendetwas daran zu kritisieren wäre, schilderte Minister Hermann den Stand der Dinge und gab auch einen Ausblick in die Zukunft. Allerdings vermied er es, irgendwelche Zeiträume zu nennen, wann was fertig ist (außer bei S 21, welches im Dezember 2025 in Betrieb gehen wird).

Da es nicht um die möglicherweise vom Bund im Rahmen des Deutschlandtakts angedachte Tunnelstrecke von Böblingen zum NBS-Flughafenbahnhof ging, bildeten die bisherigen Planungen über die Roher Kurve und das 3. Gleis im S-Bahn-Flughafenbahnhof die Grundlage, ebenso die weiteren Verbesserungen wie etwa die Große Wendlinger Kurve oder die P-Option (also die Möglichkeit, von Feuerbach in Richtung Bad Cannstatt auf direktem Wege zu fahren. Minister Hermann sagte auch deutlich, dass S 21 aus Sicht der Landesregierung absolut in der Lage ist, den jetzigen Verkehr und die bis im Jahr 2030 erwartete Nachfragsteigerung problemlos aufzunehmen. Man sei da in gutem Kontakt zur Bahn (auch wenn man manchmal den Eindruck gewinnen könnte, dass sich das Land mit der Bahn streiten würde). Natürlich gäbe es unterschiedliche Sichtweisen, aber letztlich würde man wirklich gut mit der Bahn zusammmenarbeiten, sagte Hermann, dem es auch ein Anliegen war, der DB dafür zu danken.

Als erster Vertreter der DB sprach Dr. Bitzer von der Projektgesellschaft. Er legte dar, weshalb man die Trasse der Gäubahn abhängen müsse. Hintergrund ist der Bau des neuen Bahnhofs Mittnachtstraße, also die Verlängerung der Stammstrecke von Stg.-Vaihingen über den Hbf hinaus bis zur Station Mittnachtstraße, wo sich zukünftig die S-Bahnen nach Feuerbach und Bad Cannstatt verzweigen. Dies erfordere eine Tieferlegung der S-Bahn-Trasse, weshalb dort, wo die Stützmauern des Gäubahnviadukts über die heutige S-Bahn-Trasse liegen, das ganze Bauwerk (Brücke) hätte unterfangen werden müssen. Nachdem klar sei, dass S 21 incl. der Arbeiten im Vorfeld Baurecht hätte (Planfeststellung für diesen Bereich ist schon lange erfolgt), sehe man keine Veranlassung, davon abzuweichen und sich wieder auf (meine Interpretation) rechtlich unsicheres Fahrwasser zu begeben. Mit den Bauarbeiten solle im Sommer 2025 begonnen werden. Zur Frage der Gäubahnanbindung danach äußerten sich dann andere Vertreter der Konferenz.

Dann kam der Stuttgarter Baubürgermeister Peter Pätzold. Er legte dar, welche Flächen nach dem Vertrag mit der DB frei werden müssen und ging auf den städtebaulichen Wettbewerb ein , den ASP gewonnen hätte. Anhand von Folien erläuterte er die Grundzüge der Planungen. U.a., das war mir in dieser Dimension auch nicht bewusst, soll der verkehrsreiche Platz vor dem Stuttgarter Hbf zukünftig komplett verkehrsfrei werden, abgesehen von Bussen und Taxis sowie Anlieferverkehre. Der starke Individualverkehr, der heute durch die Heilbronner Straße fährt, wird am Bahnhof südlich vorbeigeführt (dort, wo früher der Omnibusbahnhof gelegen war) und dann auf der Wolframstraße auf die Heilbronner Straße unter der Bahn hindurch gelenkt. Die Zufahrt zu den Parkhäusern für die Banken und die DB-Kunden wird dann in wenigen Jahren also ganz anders als heute verlaufen. Da mit Eröffnung von S 21 die Parkmöglichkeiten zur Verfügung stehen sollen, dulden die Pläne keinen Aufschub. Pätzold führte aus, dass Berichte in der Presse, dass das Gelände erst in den späten 30er-Jahren bebaut würde, falsch seien. Man werde sofort mit Inbetriebnahme des Tiefbahnhofs das Gelände freimachen und natürlich nicht auf einen Schlag die gesamten Flächen entwicklen. Das ginge ja gar nicht. Aber er stellte anhand einer Prioritätenliste klar, in welcher Reihenfolge die verschiedenen Bereiche bebaut werden. Er erläuterte, dass der Stadt Stuttgart ca. 50 % der frei werdenden Flächen gehöre. Diese habe sie zu einem Preis von 400 Mio. € seinerzeit von der DB abgekauft. Der Verkehrswert inzwischen läge bei 810 Mio. €. Im Vertrag sei festgelegt, dass die DB Verzugszinsen für jedes Jahr über 2021 hinaus zu zahlen hätte. Der Betrag liegt wohl bei 12 Mio.€ pro Jahr. Man wäre zusammen mit der DB inzwischen an der Arbeit, die freiwerdenden Flächen gemeinsam in einen Zeitplan zu bringen, um keine Zeit zu verlieren. Auf dem Areal sollen rund 5.000 Wohnungen entstehen, wovon die Hälfte für Sozialwohnungen vorgesehen ist. Man dürfe auch nicht aus den Augen verlieren, dass Bahnverkehr alleine nicht die Probleme löse. Ebenso sei es notwendig, Pendlerfahrten ganz zu vermeiden, indem im wirtschaftsstarken Raum Stuttgart Wohnungen geschaffen werden, um die Pendlerei schon vom Ansatz her nicht ausufern zu lassen.

Dann kam Herr Dr. Wurmtaler von der Region Stuttgart zu Wort und legte die Sicht der Region dar. Wie das Land bemühe sich die Region sehr, den öffentlichen Verkehr zu verbessern. Rund 500 Mio. € würde der Verband Region Stuttgart in den weiteren Ausbau der S-Bahn stecken. So werden u.a. 58 neue S-Bahn-Züge gekauft, um die Kapazitäten zu erweitern. Außerdem schilderte er die Entwicklungen rund um ETCS, welches ohne S 21 wohl auch nicht nach Stuttgart (so schnell) gekommen wäre.

Dann sprach Herr Weiß von der DB über die zukünftigen Fahrplanstrukturen und ging nochmals auf Details des vom Land Baden-Württemberg finanzierten Umbaus des Bahnhofs Stg.-Vaihingen ein. Er lenkte den Blick auf die Weichenverbindungen, die von der DB zusätzlich vorgesehen werden. So wird es möglich sein, von dern IC- bzw. RE-Zügen der Gäubahn binnen weniger Minuten am gleichen Bahnsteig, also ohne durch Unterführung gehen zu müssen auf S-Bahnen umzusteigen, bei der Hin- wie bei der Rückfahrt. So deutlich habe ich dies bislang noch nicht vernommen, aber die dargelegten Gleispläne zeigten, dass das so gehen wird. Nicht alle S-Bahnen werden am gleichen Bahnsteig wie die Gäubahnzüge abfahren, aber viele. Schon heute fahren in Stg.-Vaihingen alle 5 Minuten S-Bahnen nach Stuttgart Hbf. Zukünftig sollen dank ETCS die überwiegend in der Schwabstraße wendenden Züge der S4, S5 und S6 zumindest zu bestimmten Zeiten nach Stuttgart-Vaihingen oder gar Böblingen hochgezogen werden und der 5-Minuten-Takt dadurch weiter verdichtet werden. Es wird also so werden, dass ein Zug, der in Stuttgart-Vaihingen eintrifft, binnen weniger Minuten am gleichen Bahnsteig Anschluss an eine S-Bahn zum Hbf hat. Teilweise könnte noch eine S-Bahn früher erreicht werden, wenn man die Unterführungen nutzt, aber in den meisten Fällen verkehrt in zumutbarer Zeit (ca. 5 Minuten) eine S-Bahn am gleichen Bahnsteig.

Er führte auch aus, dass seit etwa einem Jahr ein Zughalt am Nordkopf angedacht ist, also etwa auf Höhe von Stuttgart-Nord. Der Fußweg zwischen dem Nordkopf-Bahnhof der Gäubahn und der S-Bahn-Station Stuttgart Nord würde ca. 120 Meter betragen.

Frank von Meissner zeigte anhand von Plänen, wie der Bahnhof liegt und welche Möglichkeiten er bietet. Dort verkehren auch verschiedene stark frequentierte U-Bahn-Linien, die man in Stuttgart-Vaihingen nicht erreicht. Er berichtete ferner, dass die SSB hinsichtlich der Kapazitäten des U-Bahn-Netzes das VWI (Verkehrswissenschaftliches Institut der Universität Stuttgart) mit einer Potentialanalyse beauftragt hätte. Diese läge noch nicht in gedruckter Form vor, aber die wesentlichen Ergebnisse stünden schon fest. Er bat dann Herrn Tritschler vom VWI eine Einblick in dessen Untersuchungsergebnisse zu geben.

Die Zahlen waren durchaus spannend, die das VWI ermittelt hatte. Dazu wurde folgende Grundlage verwendet: Die Aussage des Ministeriums, dass das Verkehrsangebot der Gäubahn so bleiben soll wie bislang (zweistündlich schnelle IC, zweistündlich langsame IC und zweistündliche RE in der schnellen IC-Stunde sowie einige weitere Züge wie heute). Der Deutschlandtakt sei auf der Gäubahn kein Thema bislang, da er ja erst mit S 21 auf die Gäubahn kommen werde. Bei der S-Bahn konnten ebenfalls die neuen Programme der Region Stuttgart (Durchbindungen, Kapazitäten usw.) zugrunde gelegt werden.

Nach Herrn Tritschlers Ausführungen nutzen die Gäubahnzüge etwa 4.900 Fahrgäste pro Tag und Richtung (also knapp 10.000 in der Summe hin und zurück), davon 810 in der Spitzenstunde. Von den 4.900, die in Richtung Stuttgart fahren, haben 2.500 das Gebiet der Landeshauptstadt Stuttgart als Ziel. Etwa 1.500 fahren weiter über den Hbf hinaus in das regionale Umfeld (z.B. Heilbronn usw.) und 900 Kunden werden pro Tag von der Gäubahn in den Fernverkehr, also Mannheim-Frankfurt, Nürnberg, Karlsruhe oder München geliefert. Diese Kenntnis der Verkehrsströme wäre wichtig, um Rückschlüsse auf Verlagerungen ziehen zu können.
Im Fall 1 erläuterte er, wass passieren würde, wenn nur der Bahnhof Stuttgart-Vaihingen gebaut würde und dort Endpunkt wäre. Die Zahlen habe ich leider nicht mehr alle im Kopf und falsche möchte ich nicht darlegen. Aber sinngemäß stellte das VWI fest, dass die Zahl der Fahrgäste insgesamt nicht zurückgehen wird, sondern noch leicht steigen wird, allerdings gibt es deutliche Verlagerungen auf die S-Bahn. Dort die 4.900 Fahrgäste aufzunehmen oder auch die 810 in der Spitzenstunde sei kein Problem. Die Kapazitäten der S-Bahn (unterstellt natürlich incl. Ausbau durch die Region Stuttgart) würde das schaffen. Die S-Bahn würde von ca. 13.800 heutigen Fahrgästen um etwa 1.400 zunehmen (etwas mehr als 10%), die Stadtbahn ab Vaihingen von 9.700 um etwa 1.300 Fahrgäste. In Vaihingen würden auch 3.600 aussteigen (in der Spitzenstunde ca. 730).
Im Fall 2, wenn die Gäubahn bis zum Nordkopf verlängert wird, verbleiben viele Fahrgäste in der Gäubahn und insgesamt sind es mehr als heute (Summe S-Bahn und DB). Es verbessern sich nämlich die Verkehrsbeziehungen in den Stuttgarter Norden aus Richtung Gäubahn und es kommen neue Fahrgäste hinzu, die vom Nordkopf dann eine attraktive Schnellverbindung über die Panoramabahn nach Stg.-Vaihingen haben. Dies machte er an der Zahl der aus Richtung Stuttgart in Stg.-Vaihingen dann aussteigenden Reisenden fest.

In einer weiteren Grafik zeigte das VWI, zu welchen Haltestellen in der Landeshauptstadt Stuttgart die Verbindungen verändert werden. Es gibt Verbindungen, die teilweise deutlich schneller als heute von der Gäubahn erreicht werden, es gibt aber auch Verbindungen, bei denen es etwas länger dauert, es gibt Verbindungen, die mit weniger Umstiegen als heute erreicht werden, die meisten jedoch durch gleichviele Umstiege, jedoch an anderen Stellen und es gibt wenige Verbindungen, die objektiv etwas schlechter sind. Unter dem Strich kam er zum Urteil, dass Fahrgäste mit Ziel Stuttgart eher gewinnen als verlieren. Da dies die Hauptmasse der Fahrgäste ist, war ihm dies eine wesentliche Aussage wert.
Bei Verkehren in die Region gibt es Gewinner und Verlierer, ebenso beim Fernverkehr. Verlierer Nr. 1 sind die Fernverkehrsverbindungen nach Nürnberg, die von der Gäubahn aus leider verpasst werden. Deutlich schneller geht es in Richtung München (Neubaustreckeneffekt) und auch nach Frankfurt machte er je nach Zugtyp bis zu 2 Minuten Fahrzeitgewinn aus. Ich hätte mir aber vorstellen können, dass man diesen Vergleichen etwas mehr Zeit hätte einräumen sollen. Ergebnis der VWI-Studie, so habe ich es mitgenommen ist, dass S 21 bezüglich der Gäubahn eben nicht sämtliche Fahrgäste auf die Straße treibt, sondern ganz im Gegenteil, es werden mehr (insbesondere durch den Halt in Vaihingen und den dadurch erheblich verbesserten Zugang zu den vielen Arbeitsplätzen und Wohnsiedlungen auf den Fildern.

Abschließend kam noch Herr Thorsten Krenz, der Konzernbevollmächtigte der DB für Baden-Württemberg zu Wort. Er musste nicht mehr viel an zusätzlichen Informationen geben und war auch gespannt auf das, was der Bund morgen im Rahmen des Deutschlandtakts zum Komplex S 21 und Gäubahn noch präsentieren wird. Dem vorgreifen wolle aber aber auch nicht. Auch er lobte die sehr kollegiale Zusammenarbeit mit dem Stuttgarter Verkehrsministerium.

Danach kamen Dritte zu Wort, die sich in der Vergangenheit schon häufig zum Thema gemeldet haben. U.a. der Böblinger Oberbürgermeister Steffen Belz, der fürchtete, dass die wirtschaftliche Entwicklung seiner Stadt durch die sicherlich mehrjährige Abnabelung einer direkten Anbindung der Gäubahn leiden würde. Ins gleiche Horn stieß auch Landrat Bernhard vom Landkreis Böblingen, zumal die A 81 zeitlich um weitere Spuren erweitert werden soll und dadurch baustellenbedingte Verkehrsstaus erwartet werden. Ein weiterer Kritiker kam aus dem Raum Freudenstadt, ferner gab es Äußerungen vom VCD (Matthias Lieb) und vom Bundestagsabgeordneten Gastl. Beide befürchteten Schlimmeres und verlangten, dass die Panoramabahn weiterhin betrieben werde und zwar nicht zum Nordkopf sondern zum Hbf. Wesentliche Gründe hierfür sehen sie im Störungsfall der S-Bahn, ein Thema, das man gerne auch hätte ausführlicher darstellen hätte können, wenn die Zeit ausgereicht hätte. Nach den Worten von Winfried Hermann gäbe es ca. 30 große Störungen im Jahr, also wohl Vollsperrungen der Stammstrecke der S-Bahn. Bislang würden die S-Bahnen dann mit eingen vergleichsweise geringen Zeitverlust über die Panoramabahn geschickt, was zukünftig nicht mehr möglich sei. Die Verkehre müssen dann wohl über den Nordkopf abgewickelt werden, wobei mir unklar ist, wie genau das gehen soll. Szenarien gehen auch davon aus, dass die U 14, also die Verbindung vom Hbf nach Stuttgart-Vaihingen dann sehr stark genutzt werden wird. Diese U 14 dient aber in erster Linie dem städtischen Nahverkehr und nicht einem kollabierten S-Bahn-Verkehr oder gar Fernverkehr in Richtung Zürich. Ein Thema, an dem noch gearbeitet werden muss (und wohl auch wird).

Unter dem Strich eine wieder einmal sehr gute und vor allem höchst kompetente Information durch das Verkehrsministerium Stuttgart, an welcher neben Medienvertretern Abgeordnete, Landräte und Bürgermeister, vorzugsweise entlang der Gäubahn teilgenommen haben. So etwa war Konstanz, Singen, Rottweil, Oberndorf, Eutingen im Gäu und Böblingen vertreten. Andere vielleicht auch, ich konnte dies aber anhand von Telefonnummern nicht zuordnen.

Viele Grüße vom Vielfahrer