Basel SBB: Adieu Fernweh!

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Vielfahrer
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Basel SBB: Adieu Fernweh!

Beitrag von Vielfahrer »

Während demnächst der Badische Bahnhof Basel sein Jubiläum feiert, befasst sich Daniel Gerny, Basel in der NZZ vom 6. September 2013 mit dem Doppelbahnhof Basel SBB/SNCF.


Fast am Ende von Gleis vier, dort, wo die Züge aus Frick, Rheinfelden oder Brugg zum Stillstand kommen und die Pendler via Rolltreppe in den Feierabend verschwinden, beginnt die Welt: Die Bahnhof-Infrastruktur verliert hier an Dichte, doch Gleis vier führt weiter in die Ferne, in einer leichten Linkskurve in Richtung Frankreich. An schönen Abenden, wenn das Gleisfeld in warmes Licht getaucht ist und der die Sonne reflektierende Schienenstrang in die Weite weist, ist es schwer, hier nicht von Fernweh gepackt zu werden. Um 18 Uhr 24 fährt vom französischen Bahnhof der nächste Zug nach Paris. Die "Rue de la Seine" oder die "Place des Vosges" - so nah sind sie.

Doch auch dieser wunderbare Blick am Basler Bahnhof SBB, den man erst richtig vermissen wird, wenn er nicht mehr existiert, soll verschwinden: Eine wild zusammengewürfelte Allianz aus Jungparteien, Politikern aller Lager, aus IG Velo, Wirtschafts- und Naturschutzverbänden, Gewerblern, Pro Innenstadt und aus Bauunternehmerns fordert via Volksinitiative die Überdachung und Begrünung des Bahnhofs auf einer Fläche von 30.000 Quadratmetern. Das entspricht vier bis fünf Fußballfeldern. Federführend beim sogenannten Centralpark Basel ist der Gartenbauarchitekt Donald Jacob, der das Projekt fast im Alleingang vorangetrieben hat. Am 22. September wird über eine Machbarkeitsstudie abgestimmt.

Obwohl sich Architekten, die SBB als Grundeigentümerin, die Basler Regierung und das Parlament gegen Jacobs Pläne aussprechen, ist eine Annahme keineswegs ausgeschlossen. Denn Jacob trifft einen Nerv: Die Anbindung des Gundelfinger Quartiers im Süden Basels an die Stadt ist ungenügend. Das Gundeli weist die für viele Bahnhofsgebiete typischen Vernarbungen auf, die die Stadtplaner bisher trotz Verbesserungen nur teilweise beseitigen konnten. Gleichzeitig ist in Basel, das auch dank Kantonsbaumeister Fritz Schumacher einen städtebaulichen Schub erlebt, der Wunsch nach einer Portion Gemütlichkeit spürbar - nicht nur, aber auch in baulicher Hinsicht.

Der grüne Teppich, den die Centralpark-Promotoren über dem Bahnhof ausbreiten möchten, ist so eine Art Gegenstück zur dynamischen Stadtentwicklung, die Basel prägt: Im Norden ist der Campus von Novartis entstanden, der das Quartier zwar unbestrittenermaßen aufwertet, aber für das Publikum zum großen Teil unzugänglich ist. Im Kleinbasel verschiebt der monumentale Messe-Neubau die städtebaulichen Gewichte: Manche Basler fühlen sich trotz der architektonischen Leichtigkeit der Fassade erdrückt. Unweit davon entsteht der neue Büroturm von Roche, der künftig die Skyline der Stadt maßgeblich mitbestimmen wird. Im Norden und im Süden der Stadt sind neue Quartiere geplant, von denen noch niemand weiß, wie sie wirken. Zwar wird die Stadt so attraktiver und konkurrenzfähiger, doch gelichzeitig führt die auch in städtebaulicher Hinsicht sichtbare Internationalisierung bei einem Teil der Bewohner zu einer gewissen Entfremdung.

"Es handelt sich beim Centralpark um einen untauglichen Versuch, die städtische Realität in ihr Gegenteil zu verkehren", formuliert es vor diesem Hintergrund der Architekt Emanuel Christ, dessen Büro Christ und Gantenbein unter anderem den Erweiterungsbau des Landesmuseums in Zürich realisiert. Interessanterweise spiegelt die Abstimmungsdebatte diesen Gegensatz präzise wider: Lange Zeit straften die Stadtplaner und Basels etablierte Architekten Gartenbauer Jacob uns sein Projekt mit Nichtbeachtung. Nun wird er mit einer teilweise unsensiblen Schärfe attackiert, die von den Centralpark-Promotoren als Arroganz der in Basel städtebaulich Mächtigen wahrgenommen wird. Das ist kontraproduktiv, weil das Park-Projekt auch nüchtern betrachtet unübersehbare und gravierende Schwächen aufweist.

So käme die geplante Grün-Plattform schon aus technischen Gründen mehrere Meter über dem Fußgänger-Niveau in der Umgebung zu liegen, womit mitten in der Stadt eine Art unnatürliche Hochebene entstünde. Architekten bezweifeln, dass dadurch da Gundeli besser an die Stadt angebunden werden kann. Auch die von den Befürwortern in Visualisierungen von Youtube-Videos heraufbeschworene Park-Atmosphäre könne mit einer begrünten Betonfläche nicht entstehen, meint Christs Büro-Partner Christoph Gantenbein: "Man hat solche Grünanlagen in den 1970er und 1980er Jahren vielerorts realisiert - fast überall ohne Erfolg." Gebildet hätten sich meist trostlose und versiffte Parks, die vom Publikum gemieden und heute wieder zurückgebaut würden.

Vor allem aber übergeht das Projekt ein Stück echte Urbanität. Durch den Centralpark würde der Bahnhof nicht nur optisch, sondern auch funktional untergeordnet. Dem gutgemeinten und versöhnlich daherkommenden Park haftet deshalb selbst etwas Brüskes und Rücksichtsloses an. Die SBB als Eigentümerin des Grundstücks fürchten sich vor einem Großstadt-Bahnhof unter dem Boden, der die Entwicklung der Infrastruktur einschränkt, erschwert und verteuert, wenn nicht gar verunmöglicht - eine fatale Folge für eine Stadt, die seit je von ihrer geographischen Lage und verkehrsmässigen Anbindung an Europa lebt. Statt die natürliche Schönheit des Bahnhofs mit gezielten Eingriffen zu unterstreichen, droht das Parkprojekt den Ort so mit seiner austauschbaren Grünfläche zu erschlagen.

Auch Kostengründe sprechen gegen den Park. Seine Realisierung ist deshalb unwahrscheinlich - selbst wenn ihm die Baslerinnen und Basler im September im Grundsatz zustimmen sollten. Möglicherweise aber steht die Volksinitiative für den drohenden Verlust des Bewusstseins für städtische Authentizität: Vor lauter Stadtentwicklung wächst in Basel die Sehnsucht nach Provinzialität - kritisch für eine Stadt, die bei ihrer Weiterentwicklung nicht auf die Bremse stehen sollte.

Viele Grüße vom Vielfahrer
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