KBS 731"Entdieselung" der Strecke gefordert

Strecken in Baden-Württemberg, die unten nich aufgeführt sind.
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Vielfahrer
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KBS 731"Entdieselung" der Strecke gefordert

Beitrag von Vielfahrer »

Im Säntissaal des Bodenseekreises fand heute eine sehr interessante Sitzung der Interessengemeinschaft Bodenseegürtelbahn statt.
Mitglieder der Interessengemeinschaft sind die Landkreise Konstanz und Bodenseekreis sowie die anliegenden Kommunen zwischen Radolfzell und Friedrichshafen. Nach nunmehr 5 Jahren ohne Sitzung wurde heute über die in der Zwischenzeit gelaufenen Aktivitäten berichtet. Zunächst war ja ein Gutachten bei der SMA in Auftrag gegeben worden, welches auf der Homepage des Bodenseekreises von allen Interessierten herunter geladen werden konnte. Es kam damals zum Schluss, dass man mit einem 30-Minuten-Takt ("Bodensee-S-Bahn") die besten Voraussetzungen hätte, um sich auf die damals noch unklaren Fahrzeiten von Südbahn oder Gäubahn in den Bahnhöfen Friedrichshafen oder Singen abzustimmen, da sich solch ein System etwa wie im Nagoldtal auch um jeweils 15 Minuten verschieben ließe, ohne dass Infrastrukturänderungen erforderlich würden.

Die damalige Studie war Auslöser vieler Aktivitäten, denn es meldeten sich (zurecht) auch die Befürworter der schnellen IRE-Verbindung Basel - Friedrichshafen - Ulm zu Wort, welche in einer reinen S-Bahn-Verbindung zwischen Radolfzell und Friedrichshafen keine zukunftstaugliche Lösung sahen. So etwa war ja die Strecke Basel - Lindau - München früher für einen "InterRegio light" für würdig befunden worden. Dieser wäre sicher auch gekommen, wenn nicht das Produkt InterRegio gänzlich aus anderen Gründen von der DB aufgegeben worden wäre. Keine Frage also, dass diese Strecke nicht nur über Nahverkehrspotentiale verfügt sondern auch über beachtliche Langstrecken-Verkehre, wie man an den gut gefüllten IRE der Linie Basel - Ulm erkennen kann.

Es war also Zeit gewesen, die damalige Studie zu überarbeiten, zumal die Elektrifizierung der Südbahn in trockenen Tüchern ist und ab Dez 21 elektrisch gefahren werden wird. Ebenso sind die Planungsarbeiten für die Elektrifizierung der Hochrheinstrecke inzwischen in der Leistungsphase III/IV angelangt, so dass auf absehbare Zeit auch der Abschnitt Basel - Erzingen elektrifiziert werden wird.

Vom Geschäftsführer des Interessenverbands Bodenseegürtelbahn, dem Ravensburger Verbandsdirektor des Regionalverbands Bodensee-Oberschwaben, Wilfried Franke, wurde das "Dieselloch" zwischen Radolfzell und Friedrichshafen aufgezeigt, eine Reststrecke, die zwischen Basel und München dann noch ohne Fahrtdraht ist, nachdem auch Rheintal, Gäubahn, Schwarzwaldbahn, Höllentalbahn, Südbahn und Allgäubahn und die angrenzenden Strecken in der Schweiz und Österreich ohnehin schon elektrifiziert sind bzw. werden.

Zunächst begrüßte der Hausherr, Landrat Wölfle, gebürtig aus Donaueschingen und vor nunmehr 40 Jahren im ersten elektrisch gezogenen Zug auf der Schwarzwaldbahn als Gast mitgefahren, die zahlreichen Gäste, voran die Abteilungsleiterin Frau Beate Schuler von Verkehrsministerium in Stuttgart und Herrn Heepen, Geschäftsführer der NVBW in Stuttgart sowie Herrn Hendricks vom Verkehrsministerium, der sich intensiv mit alternativen Antrieben beschäftigt.

Als Gutachter führte Herr Frei von SMA aus Zürich, der aber überwiegend in der SMA-Niederlassung in Californien arbeitet, in die Studie ein. Es gibt zwei Varianten, die Referenzvariante (elektrifizierte Strecke mit stündlich schnellem Verkehr und stündlichem RB-Verkehr sowie die Vorzugsvariante (elektrifizierte Strecke mit stündlich schnellem Verkehr und halbstündlichem RB-Verkehr). Während das Land in seinem Zielkonzept 2025 die Referenzvariante umsetzen möchte und auch im Koalitionsvertrag Aussagen zur Elektrifizierung der Bodenseegürtelbahn verankert sind, bevorzugen die Mitglieder des Interessenverbands Bodenseegürtelbahn die Vorzugsvariante. Demzufolge war es eine Aufgabe von Herrn Frei gewesen, die Kostenunterschiede herauszuarbeiten, den den Regeln des Landes zufolge müssen alle Leistungen überhalb des Zielkonzepts vom jeweiligen Veranlasser getragen werden. SMA ermittelte, dass die Investkosten für die Referenzvariante bei 4,6 Mio. € liegen würden, während die Vorzugsvariante auf 39,2 Mio €, jeweils ohne Elektrifizierungskosten käme. Die Mehrkosten von 34,6 Mio. € schreckten nicht, sie entsprächen, so argumentierten die Landräte Wölfle (FN) und Hämmerle (KN) in etwa dem Bau zweier Ortsumfahrungen. Als problematischer wurden die laufenden Betriebskosten angesehen. Der zusätzliche RB-Takt des Vorzugskonzepts führt auf das Jahr bezogen zu Mehrkosten von 9,2 Mio. € im Betrieb. Dem stehen (konservativ gerechnet) etwa 2,4 Mio € Mehrerträge durch das bessere Verkehrskonzept gegenüber, ermittelt über die Graviationsmethode, so dass beide Landkreise laufende Kosten von etwa 6,8 Mio. € jährlich zu stemmen hätten. Grundsätzlich wurde das nicht ausgeschlossen. Der Landkreis Konstanz wird schon in der kommenden Woche über das Gutachten und mögliche Folgen in seinem Kreistag diskutieren.
Seitens der Gemeinde Sipplingen möchte man aber keine störenden Oberleitungen entlang des Seeufers und hatte deshalb einen Sipplinger Bürger, der einschlägige berufliche Kenntnisse hat, mit der Erarbeitung von Alternativen betraut. Dessen Überlegungen laufen darauf hinaus, mit Batterie-betriebenen Fahrzeugen auf den Fahrdraht zu verzichten. Er berechnete, dass selbst unter Vollast die Batterieladung für eine Fahrt von Friedrichshafen nach Radolfzell (59 km) ausreichend wäre und dass man ja in Friedrichshafen aus der zukünftigen Südbahn und in Radolfzell aus der Schwarzwaldbahn die Energie zum Wiederaufladen der Batterien beziehen könnte. Bei durchgebundenen Zügen von Ulm nach Basel sah er auf kein Problem, da sich die Batterien ja beim Fahren unter Fahrdraht aufladen könnten.

Die NVBW begrüßte die alternativen Überlegungen und sprach an, dass die zukünftig daran denke, antriebsneutrale Konzepte auszuschreiben, d.h. der Anbieter könnte ggf. mit Diesel, mit Strom, mit Batterie oder mit Hybrid usw. anbieten. Nicht generell, aber sicherlich im einen oder anderen Fall werde man so vorgehen. Dadurch könnten eventuell die hohen Elektrifizierungskosten vermieden werden. Schätzungen gehen davon aus, dass die Elektrifizierung der Bodenseegürtelbahn (durch die DB) sicherlich Kosten in einem 3-stelligen Mio.-Betrag erfordern wird. Wenn man die Regionalsierungsmittel dafür einsetzen würde, hätte man zwar elektrische Strecken aber keine Züge mehr, die bestellt werden könnten, formulierte etwas überspitzt der Vertreter der NVBW.

Aus Schweizer Sicht sagte Herr Frei auf Nachfrage, dass die Elektrifizierung in der touristischen Hochburg Schweiz niemanden stören würde und Landrat Hämmerle, dessen Konstanzer Bahnhof ja bekanntlich seit 40 Jahren elektrifiziert ist, sagte, dass Konstanz brechend voll von Touristen und Einkäufern wäre, im Gegensatz zu Sipplingen, was vielleicht an der Elektrifizierung liegen würde. Er nahm diese Bemerkung allerdings nachher als überzogen zurück. Dennoch nahm er den Wunsch der Sipplinger auf und formte das schöne Wort von der "Entdieselung" der Bodenseegürtelbahn, was immer das auch sei. Wer wolle könne darunter die Elektrifizierung verstehen oder einen Batteriebetrieb oder einen Hybridantrieb. Was da komme, müsse man nicht hier und heute entscheiden, klar sei nur, dass es weg gehen müsse vom Diesel.

Im Anschluss an die Sitzung der Interessengemeinschaft Bodenseegürtelbahn gab es dann noch eine öffentliche Vorstellung der SMA-Studie, bei welcher auch die lokale Presse anwesend war und Fragen stellen konnte. Ebenfalls vertreten war die Initiative Bodensee-S-Bahn, vertreten durch Herrn Paul Stopper und seine Mitstreiter, die zahlreiche Fragen stellten. Im Grundsatz waren aber alle dankbar für die Position der beiden Landräte, die entlang der Bodenseegürtelbahn klare Ziele verfolgen und den öffentlichen Verkehr im Schulterschluss mit dem Land stärken und ausbauen möchten.

Was die Vertreter des Interessenverbands stark gestört hat ist, dass sie für die Gleise und die Stationen finanzielle Beträge aufwenden müssen und anschließend DB Station ohne Service auch noch höhere Stationsgebühren abkassiert. So waren Abgeordnete der SPD in der vergangenen Woche auf der Gürtelbahn unterwegs gewesen und haben in Markdorf Station gemacht. Dort ist der Bahnhof abgeschlossen und den Fahrgästen wird empfohlen, sich wegen eines beheizbaren Warteraums an die Gemeinde zu wenden. Seitens der Bodensee-S-Bahn-Initiative wurde auf die Vinschgau-Bahn in Südtirol verwiesen, wo andere Regelungen greifen und alles erheblich kostengünstiger geht, auch die Elektrifizierung im Murgtal usw. sind Beispiele, die keiner versteht. Auch DB-Netz würde durch den Übergang zur Vorzugsvariante 4,3 Mio. Euro mehr Trassengebühren pro Jahr einstreichen, was von den an der Region hängen bleibenden Mehrkosten von 6,8 Mio Euro ja nahezu 2/3 ausmacht. Ein Gleis nutzt sich aber kaum ab, wenn da ein Zug mehr darüber fährt, sprich, es geht ein Goldregen über DB-Netz ab, wenn zuvor seitens des Landes und der Region auf deren Kosten die Strecke so ausgebaut wird, dass anschließend mehr Züge verkehren können.

Trotzdem war das mal wieder ein Tag, der Mut macht, Konzepte zu entwickeln und darauf zu vertrauen, dass sich im Anschluss daran auch was tut.

Viele Grüße vom Vielfahrer
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